Der Name der Rose
oder das Licht, weswegen wir schön nennen, was von klarer Farbe ist. Und da die Vision des Schönen stets auch das Friedliche in sich enthält und es für unser Gefühl dasselbe ist, ob wir Ruhe finden im Frieden, im Guten oder im Schönen, fühlte ich mich von einem großen Trost durchdrungen und dachte, wie angenehm es doch sein mußte, an diesem Ort zu arbeiten.
Ja, damals, in jener Stunde beginnender Dämmerung, erschien mir das Skriptorium wie eine fried- und freudvolle Werkstatt der Weisheit. In Sankt Gallen sah ich später ein ähnlich wohlproportioniertes Skriptorium, ebenfalls von der Bibliothek getrennt (in anderen Abteien pflegen die Mönche am selben Ort zu arbeiten, wo auch die Bücher aufbewahrt werden), aber dieses war noch viel schöner angelegt. Restauratoren, Kopisten, Rubrikatoren und Forscher saßen jeder an seinem eigenen Tisch, je einer vor jedem Fenster. Und da es insgesamt vierzig Fenster waren (eine wahrhaft vollendete Zahl, die sich der Verzehnfachung des Vierecks verdankt, als wären die Zehn Gebote mit den vier Kardinaltugenden multipliziert worden), hätten vierzig Mönche einhellig nebeneinander arbeiten können, mochten sich auch in diesem Augenblick nur knapp dreißig im Saal befinden. Severin erklärte uns, daß die im Skriptorium tätigen Mönche von den Gebeten zur Tertia, Sexta und Nona entbunden waren, damit sie das Tageslicht voll ausnutzen konnten und ihre Arbeit erst bei Einbruch der Dunkelheit zur Vesper zu unterbrechen brauchten.
Die hellsten Plätze waren den Restauratoren, den erfahrensten Miniaturenmalern und den Kopisten vorbehalten. Jeder Tisch hatte alles, was man zum Malen und zum Kopieren braucht: Tintenfässer, feine Federn, die einige Mönche mit winzigen Messerchen schärften, Bimssteine, um das Pergament zu glätten, und Lineale, um die Zeilenlinien zu ziehen. Neben jedem Schreiber oder auch am oberen Ende der schrägen Schreibfläche eines jeden Tisches stand ein Lesepult, auf dem der zu kopierende Codex ruhte, festgehalten durch eine bewegliche Maske, welche die gerade abzuschreibende Zeile einfaßte. Manche hatten auch goldene oder andersfarbige Tinten. Andere Mönche sah ich nur lesen und sich Notizen machen in Hefte oder auf kleine Täfelchen.
Allerdings hatte ich keine Zeit, ihre Arbeit genauer zu beobachten, denn schon eilte der Bibliothekar herbei, den wir bereits als Malachias von Hildesheim kannten. Er gab sich Mühe, seinem Antlitz einen Ausdruck des Willkommens zu geben, aber das änderte nichts daran, daß ich angesichts dieser einzigartigen Physiognomie unwillkürlich erschrak. Seine Gestalt war hoch, und seine Glieder wirkten trotz ihrer extremen Magerkeit groß und grobknochig, und wie er da in seiner schwarzen Kutte mit langen Schritten rasch auf uns zukam, hatte er etwas Beunruhigendes, ja Unheimliches. Die Kapuze, die er noch nicht abgestreift hatte, da er gerade von draußen kam, warf auf sein bleiches Gesicht einen Schatten, der seinen großen melancholischen Augen etwas Schmerzliches gab. Tiefe Furchen in seinen Zügen kündeten von vergangenen, einstmals offenbar wilden und nun vom Willen gebändigten Leidenschaften. Wehmut und Ernst beherrschten sein Antlitz, und seine Augen waren so stechend, daß sie mit einem einzigen Blick tief ins Herz seines Gegenübers einzudringen und seine geheimsten Gedanken zu lesen vermochten, weshalb man ihr forschendes Starren kaum ertragen konnte und versucht war, ihm auszuweichen.
Nachdem der Bibliothekar uns begrüßt hatte, führte er uns durch den Saal und stellte uns zahlreiche Mönche vor. Bei jedem von ihnen nannte er nicht nur den Namen, sondern auch die Art ihrer Tätigkeit, und bei allen bewunderte ich die Hingabe an ihre Wissenschaft und an das Studium der Worte Gottes. So lernte ich Venantius von Salvemec kennen, einen Übersetzer aus dem Griechischen und Arabischen sowie großen Verehrer des Aristoteles, des gewiß größten Gelehrten aller Zeiten. Ferner Benno von Uppsala, einen jungen skandinavischen Mönch, der sich mit Rhetorik und Grammatik beschäftigte, Berengar von Arundel, den Adlatus des Bibliothekars, Aymarus von Alessandria, der Bücher kopierte, die der Bibliothek nur leihweise für ein paar Monate überlassen waren, und schließlich eine Reihe von Miniatoren aus verschiedenen Ländern, Patrick von Clonmacnois, Rhaban von Toledo, Magnus von Iona, Waldo von Herford …
Die Liste könnte noch lange fortgesetzt werden, und nichts ist gewiß erfreulicher als eine Liste, Werkzeug
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