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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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war, und wie seine Liebe und Lyras Macht ihn wieder ins Leben zurückgeholt hatten. Zum ersten Mal seit Menschengedenken konnte man offen von Frieden sprechen, ohne als Narr oder Verrückter zu gelten.
    Die Jahre gingen ins Land. Die Reihen der Feinde lichteten sich, und selbst die größten Zyniker erkannten, dass das Ende des Krieges nahte.
    Dann machten Gerüchte die Runde: Lyra sei krank. Lyra sei entführt worden. Lyra sei gestorben. Lanre sei aus dem Reich geflohen. Lanre sei dem Wahnsinn verfallen. Manche behaupteten gar, Lanrehabe sich umgebracht und suche nun im Reich der Toten nach seiner Gemahlin. Viele derartige Geschichten kursierten, doch keiner wusste, wie es wirklich war.
    Inmitten all dieser Gerüchte traf Lanre in Myr Tariniel ein. Er kam allein, trug nur sein silbernes Schwert und ein schwarzes Kettenhemd. Diese Rüstung saß wie eine zweite Haut. Er hatte sie aus dem Kadaver der Bestie gefertigt, die er in Drossen Tor getötet hatte.
    Lanre bat Selitos, mit ihm außerhalb der Stadt zu wandeln. Selitos willigte ein, in der Hoffnung, die Wahrheit über Lanres Sorgen zu erfahren und ihm den Trost spenden zu können, den ein Freund spenden kann. Sie hielten oft Rat miteinander, denn sie waren die Herren ihrer Völker.
    Selitos hatte von den Gerüchten erfahren, und er machte sich Sorgen. Er fürchtete um Lyras Gesundheit, aber mehr noch fürchtete er um Lanre. Selitos war ein weiser Mann. Er wusste, dass Trauer das Herz ersticken und dass Leidenschaft auch die besten Männer in den Wahnsinn treiben kann.
    Gemeinsam wandelten sie auf Gebirgspfaden. Lanre ging voran, und dann kamen sie an eine Stelle hoch droben im Gebirge, von der aus sie über das ganze Land hinwegschauen konnten. Die stolzen Türme von Myr Tariniel erstrahlten im letzten Licht der untergehenden Sonne.
    Nach langem Schweigen sagte Selitos: »Mir sind schreckliche Gerüchte zu Ohren gekommen, was deine Gemahlin anbelangt.«
    Lanre erwiderte nichts, und aus seinem Schweigen schloss Selitos, dass Lyra tatsächlich gestorben war.
    Nach langem Schweigen versuchte Selitos es noch einmal. »Ich weiß zwar nicht, was geschehen ist, aber Myr Tariniel ist für dich da, und ich werde dir jede in meiner Macht stehende Hilfe zuteil werden lassen.«
    »Du hast mir schon genug geholfen, alter Freund.« Lanre wandte sich um und legte Selitos eine Hand auf die Schulter. » Silanxi, ich binde dich. Beim Namen des Steins, sei still wie Stein. Aeruh , ich gebiete der Luft. Sie lege sich bleiern auf deine Zunge. Selitos , ich nenne dich. Mögen all deine Kräfte von dir weichen – bis auf deinen Weitblick.«
    Selitos wusste, dass es auf der ganzen Welt nur drei Menschen gab, die es, was Namen anging, mit ihm aufnehmen konnten: Aleph, Iax und Lyra. Lanre hatte keine solche Begabung – seine Macht beruhte auf der Kraft seines Arms. Wenn er versuchen würde, Selitos mit seinem Namen zu binden, wäre das ebenso fruchtlos, wie wenn ein kleiner Junge einen Soldaten mit einer Weidenrute angriff.
    Dennoch lastete Lanres Macht bleischwer auf ihm, und Selitos war nicht mehr in der Lage, sich zu bewegen oder zu sprechen. Er stand still wie ein Stein und konnte weiter nichts tun als sich verwundert zu fragen: Wie hatte Lanre eine solche Macht erlangt?
    Verwirrt und verzweifelt sah Selitos zu, wie sich die Nacht auf das Gebirge legte. Und entsetzt sah er, dass ein Teil dieser immer weiter vordringenden Schwärze in Wirklichkeit ein großes Heer war, das auf Myr Tariniel vorrückte. Und schlimmer noch: Keine Warnglocken erklangen. Selitos konnte nur reglos dort stehen und zusehen, wie das Heer immer näher heranschlich.
    Myr Tariniel wurde niedergemetzelt und niedergebrannt – je weniger man darüber spricht, desto besser. Hinterher waren die weißen Mauern rußgeschwärzt, und aus den Springbrunnen sprudelte Blut. Eine ganze Nacht und einen ganzen Tag lang stand Selitos machtlos neben Lanre und konnte weiter nichts tun als zuzusehen und den Schreien der Sterbenden zuzuhören, dem Scheppern des Eisens, dem Krachen der zerberstenden Mauern.
    Als über den rußschwarzen Türmen der Stadt der nächste Morgen graute, bemerkte Selitos, dass er sich wieder regen konnte. Er wandte sich zu Lanre um, und diesmal versagte sein Blick nicht. Er sah in Lanre eine große Finsternis und einen gemarterten Geist. Doch Selitos spürte immer noch die Fesseln des Zauberbanns. Wut und Verwirrung rangen in ihm, und er sprach: »Lanre, was hast du getan?«
    Lanre sah immer noch hinab

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