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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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eine kalte Faust. Was konnte ich sie schon fragen? Was hatte ich ihr schon zu bieten? Nichts. Alles, was ich sagen konnte, hätte töricht geklungen, wie ein kindisches Hirngespinst.
    Ich schloss den Mund wieder und sah auf den See hinaus. Denna, nur eine Handbreit von mir entfernt, tat das Gleiche. Ich konnte ihre Wärme spüren. Sie duftete nach Straßenstaub und Honig und nach dem Aroma, das kurz vor einem schweren Sommerregen in der Luft liegt.
    Wir schwiegen. Ich schloss die Augen. Ihre Nähe war das Schönste und Aufregendste, was ich je erlebt hatte.

Kapitel 34
    Was wahrer Kummer ist

    A m nächsten Morgen erwachte ich nach zwei Stunden Schlaf, schleppte mich auf einen unserer Wagen und döste dann den ganzen Vormittag vor mich hin. Erst gegen Mittag fiel mir auf, dass wir einen weiteren Fahrgast aufgenommen hatten.
    Er hieß Josn, und er hatte Roent die Fahrt nach Anilin bezahlt. Er hatte eine umgängliche Art und ein aufrichtiges Lächeln. Er schien ein gewissenhafter Mensch zu sein. Ich mochte ihn nicht.
    Der Grund dafür war ganz einfach. Er saß den ganzen Tag über neben Denna. Er machte ihr Komplimente, umschmeichelte sie und scherzte darüber, dass er sie zur Frau nehmen würde. Dass wir in der Nacht zuvor so lange aufgeblieben waren, schien Denna nichts auszumachen. Sie sah so strahlend und frisch aus wie eh und je.
    Die Folge war, dass ich gereizt und eifersüchtig war, mich aber gleichgültig stellte. Da mein Stolz mir verbot, mich an ihrem Gespräch zu beteiligen, blieb ich allein. Ich verbrachte den Tag damit, trübe Gedanken zu hegen, krampfhaft den Klang von Dennas Stimme zu ignorieren und hin und wieder daran zu denken, wie sie in der Nacht zuvor ausgesehen hatte, während sich hinter ihr der Mondschein auf dem Weiher spiegelte.

    An diesem Abend wollte ich Denna zu einem Spaziergang einladen. Doch bevor ich ihr den Vorschlag unterbreiten konnte, ging Josn zu einem der Wagen und kam mit einem großen schwarzen Kasten mitMessingverschlüssen wieder. Bei diesem Anblick blieb mir schier das Herz stehen.
    Die Vorfreude der Gruppe spürend öffnete Josn den Kasten und nahm mit gespielter Lässigkeit seine Laute heraus. Es war ein Instrument von der gleichen Art wie das meines Vaters. Der lange, anmutig geschwungene Hals und der runde Korpus waren mir schmerzlich vertraut. Der allgemeinen Aufmerksamkeit sicher neigte Josn den Kopf und klimperte ein wenig auf der Laute herum. Dann nickte er und begann zu spielen.
    Er hatte einen hellen Tenor und leidlich geschickte Finger. Er trug eine Ballade vor, dann ein schnelles, heiteres Trinklied und schließlich eine traurige Weise in einer Sprache, die ich nicht erkannte, aber für Yllisch hielt. Zum Schluss spielte er Tinker Tanner , und beim Refrain sangen alle mit. Alle außer mir.
    Ich saß wie versteinert da, und mir juckten die Finger. Ich wollte spielen, nicht zuhören. Wollen ist dafür ein zu schwaches Wort. Ich gierte danach. Ich bin nicht stolz darauf, dass ich auf den Gedanken kam, ihm die Laute zu entreißen und damit in der Dunkelheit zu verschwinden.
    Josn beendete das Lied mit einer schwungvollen Gebärde, und Roent klatschte ein paar Mal in die Hände, um die allgemeine Aufmerksamkeit zu erlangen. »Schlafenszeit. Wenn einer morgen früh verschläft –«
    »– fahren wir ohne ihn«, schaltete sich Derrik neckisch ein. »Wir wissen Bescheid, Meister Roent. Bei Sonnenaufgang sind wir abfahrtbereit.«
    Josn klappte seinen Lautenkasten auf. Ehe er die Laute hineinlegen konnte, rief ich zu ihm hinüber: »Dürfte ich mal kurz sehen?« Ich gab mir Mühe, es so klingen zu lassen, als wäre ich schlicht nur neugierig.
    Ich hasste mich für diese Frage. Einen Musiker zu bitten, sein Instrument in der Hand halten zu dürfen, das ist, als würde man einen Mann bitten, seine Frau küssen zu dürfen. Nichtmusiker verstehen das nicht. Ein Instrument ist wie ein geliebtes Wesen. Ich wusste es eigentlich also besser, konnte es mir aber dennoch nicht verkneifen. »Nur ganz kurz?«
    Ich sah, dass er zögerte. Doch ein freundliches Auftreten gehört nun einmal zu den Pflichten eines Sängers. »Aber gewiss doch«, sagte er mit einer Bereitwilligkeit, die ich als vorgetäuscht erkannte, die auf die anderen aber wahrscheinlich überzeugend wirkte. Er schlenderte herbei und überreichte mir die Laute. »Aber sei vorsichtig …«
    Josn trat ein paar Schritte zurück und gab sich den Anschein völliger Sorglosigkeit. Ich sah jedoch, dass er die Arme leicht

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