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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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erste Frage, ehe ich dazu kam, mich zu ihm umzudrehen. »Was sind die medizinischen Eigenschaften der Nieswurz?«
    »Sie wirkt entzündungshemmend und antiseptisch, dient als leichtes Sedativum und leichtes Analgetikum. Außerdem wirkt sie blutreinigend«, sagte ich und sah zu dem bebrillten alten Mann empor. »Bei übermäßiger Anwendung toxisch. Bei Schwangeren riskant.«
    »Benenne die wesentlichen Bestandteile der menschlichen Hand.«
    Ich nannte alle siebenundzwanzig Knochen in alphabetischer Reihenfolge, dann die Muskeln, vom kleinsten bis zum größten. Ich listete sie schnell und sachlich auf und zeigte dabei an meiner erhobenen Hand, wo sie sich jeweils befanden.
    Die Schnelligkeit und Genauigkeit meiner Antworten beeindruckte sie. Einige versuchten es zu verhehlen, andere ließen es sich anmerken. Und ich musste sie ja schließlich auch beeindrucken. Von Ben wusste ich, dass man entweder Geld oder Grips brauchte, um an der Universität zugelassen zu werden. Je mehr man von dem einen besaß, desto weniger war von dem anderen nötig.
    Deshalb hatte ich geschummelt. Ich hatte mich durch einen Hintereingang ins Gebäude geschlichen, hatte so getan, als wäre ich ein Laufbursche. Dann hatte ich zwei Schlösser geknackt und war über eine Stunde lang den Prüfungsgesprächen anderer Studienbewerber gefolgt. Ich hatte Hunderte Fragen und Tausende Antworten gehört.
    Ich hatte auch mitbekommen, wie hoch die Studiengebühren veranschlagt wurden. Im geringsten Falle waren es vier Talente, sechs Jots, meist aber das Doppelte. Einem Studenten hatte man über dreißig Talente in Rechnung gestellt. Ich hätte leichter ein Stück vom Mond ergattert als eine so große Summe.
    Ich hatte zwei Kupfer-Jots in der Tasche und keine Möglichkeit, an mehr Geld zu gelangen. Also musste ich sie beeindrucken. Mehr als das. Ich musste sie mit meiner Klugheit blenden.
    Ich beendete die Aufzählung der Handmuskeln und begann mit der Aufzählung der Sehnen, doch Awryl unterbrach mich mit einer Handbewegung und stellte die nächste Frage. »Wann lässt man einen Patienten zur Ader?«
    Die Frage ließ mich innehalten. »Wenn man möchte, dass er stirbt?«, fragte ich zurück.
    Er nickte. »Meister Lorren?«
    Lorren war ein bleicher Mann, der selbst im Sitzen ungewöhnlich groß wirkte. »Wer wurde als erster zum König von Tarvintas ernannt?«
    »Ihr meint postum? Feyda Calanthis. Ansonsten sein Bruder Jarvis.«
    »Wieso brach das Aturische Reich in sich zusammen?«
    Ich hielt verblüfft inne. Keinem anderen Studenten hatte man eine so weit reichende Frage gestellt. »Nun, Sir«, sagte ich langsam, um ein wenig Zeit zu haben, meine Gedanken zu ordnen. »Zum einen, weil Lord Nalto ein unfähiger Egomane war. Zum anderen, weil die Kirche für Chaos sorgte, indem sie den Orden der Amyr, dem Atur einen Großteil seiner Schlagkraft verdankte, mit einem Bann belegte. Es lag aber auch daran, dass das Heer gleichzeitig drei verschiedene Eroberungsfeldzüge führte, und hohe Steuern in den Ländern, die dem Reich bereits einverleibt waren, Aufstände auslösten.«
    Ich betrachtete die Miene des Meisters, hoffte, er würde es sich anmerken lassen, wenn er genug gehört hatte. »Außerdem werteten sie ihre Währung ab und brachten die Adem gegen sich auf.« Ich zuckte die Achseln. »Aber es steckt natürlich noch viel mehr dahinter.«
    Meister Lorren ließ sich nichts anmerken, nickte aber. »Wer war der größte Mensch, der je gelebt hat?«
    Eine weitere ungewöhnliche Frage. Ich dachte darüber nach. »Illien.«
    Lorren blinzelte mit ausdrucksloser Miene. »Meister Mandrag?«
    Mandrag war glatt rasiert. Seine Hände waren mit vielen verschiedenfarbenen Flecken überzogen und schienen nur aus Knöcheln und Knochen zu bestehen. »Wenn du Phosphor bräuchtest – woher würdest du ihn bekommen?«
    Seine Stimme klang für einen Moment fast wie die Abenthys, und ich vergaß, wo ich war, und sagte, ohne nachzudenken: »Aus der Apotheke?« Am anderen Tischende lachte ein Meister auf, und ich biss mir auf die Zunge.
    Er sah mich mit einem matten Lächeln an. »Apotheken einmal ausgenommen.«
    »Ich könnte ihn aus Urin gewinnen«, sagte ich schnell. »Wenn ich einen Kiln und genug Zeit hätte.«
    »Wie viel Urin bräuchtest du, um zwei Unzen reinen Phosphor zu gewinnen?« Er ließ die Fingerknöchel knacken.
    Ich ließ mir mit der Antwort Zeit, denn auch dies war eine neue Frage. »Mindestens vierzig Gallonen, Meister Mandrag, je nach Güte des

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