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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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schon selbst einen Strick drehen würde. Offenbar war ihm nicht klar, dass so ein Strick, ist er erst einmal gedreht, um jeden Hals passt.
    Ich wandte mich an das Auditorium. »Ich werde heute ein Beispiel für die Gesetze der Sympathie vorführen. Da unsere Zeit jedoch beschränkt ist, brauche ich bei den Vorbereitungen etwas Hilfe.« Ich zeigte aufs Geratewohl auf einen Studenten. »Würdest du mir bitte ein Haar von Meister Hemme bringen?«
    Hemme bot mit übertriebener Großzügigkeit eines dar. Während der Student mir das Haar brachte, lächelte Hemme, der sich sicher war, dass ich umso gründlicher scheitern würde, je grandioser meine Vorbereitungen waren.
    Ich nutzte diese kurze Verzögerung dazu, mir anzusehen, was mir an Gerätschaften zur Verfügung stand. Seitlich auf dem Podium stand ein Kohlenbecken, und bei einem schnellen Blick in die Schubladen des Arbeitstisches entdeckte ich Kreide, ein Prisma, Schwefelhölzer, eine Lupe, einige Kerzen und etliche seltsam geformte Metallklötze. Ich nahm mir drei Kerzen und ließ den Rest unangetastet.
    Dann nahm ich von dem Studenten Hemmes Haar entgegen und erkannte, dass es Basil war, der Junge, den Hemme am Tag zuvor eingeschüchtert hatte. »Danke, Basil. Bring mir bitte das Kohlenbecken und setze es in Brand.« Als er es brachte, sah ich zu meiner Freude, dass es mit einem kleinen Blasebalg ausgestattet war. Während Basil Spiritus auf die Kohlen goss und ein Streichholz anriss, wandte ich mich wieder an das Auditorium.
    »Die Sympathie ist nicht ganz einfach zu verstehen. Aber alles beruht auf drei grundlegenden Gesetzen.
    Erstens der Grundsatz der Übereinstimmung, der besagt: ›Ähnlichkeit verstärkt die Sympathie.‹ Zweitens der Grundsatz der Blutsverwandtschaft, der besagt: ›Das Teil eines Ganzen kann stellvertretend für das Ganze stehen.‹ Drittens das Gesetz der Erhaltung, das besagt: ›Energie lässt sich weder erschaffen noch vernichten.‹ Übereinstimmung, Blutsverwandtschaft und Erhaltung.«
    Ich hielt inne und hörte zu, wie fünfzig Federn meine Worte niederschrieben. Neben mir betätigte Basil eifrig den Blasebalg. Es fing an, mir Spaß zu machen.
    »Macht euch keine Sorgen, wenn das momentan noch keinen Sinn ergibt. Die Demonstration wird das alles verdeutlichen.« Ich sah, dass sich im Kohlenbecken eine schöne Glut bildete. Ich dankte Basil, hängte eine Pfanne über die Glut und legte zwei Kerzen zum Schmelzen hinein.
    Die dritte Kerze stellte ich in einem Kerzenständer auf den Tisch und steckte sie mit einem Schwefelhölzchen an. Anschließend nahm ich die Pfanne vom Feuer und goss das geschmolzene Wachs sorgfältig so auf den Tisch, dass es einen faustgroßen Klumpen bildete. Dann sah ich wieder zu den Studenten empor.
    »In der Sympathie ist man vor allem damit beschäftigt, Energie umzuleiten. Und die Energie pflanzt sich über sympathetische Verbindungen fort.« Ich zupfte die Dochte aus dem Wachs und begann daraus eine grob menschenähnliche Puppe zu kneten. »Das erste Gesetz, von dem ich sprach – ›Ähnlichkeit verstärkt die Sympathie‹ –, bedeutet schlicht und einfach: Je ähnlicher sich zwei Dinge sind, desto stärker ist die sympathetische Verbindung zwischen ihnen.«
    Ich hielt die simple Puppe empor. »Das«, sagte ich, »ist Meister Hemme.« Im Saal erscholl Gelächter. »Also, eigentlich ist es meine sympathetische Darstellung Meister Hemmes. Kann mir jemand sagen, warum es keine besonders gute Darstellung ist?«
    Einen Moment lang herrschte Schweigen. Mein Publikum war noch nicht warm geworden. Hemme hatte sie tags zuvor eingeschüchtert, und sie reagierten nicht so schnell. Schließlich sagte ein Student aus einer der hinteren Reihen: »Die Größe stimmt nicht.«
    Ich nickte und sah mich weiter im Saal um.
    »Er ist auch nicht aus Wachs.«
    Ich nickte. »Es hat eine gewisse Ähnlichkeit mit ihm, was die allgemeine Gestalt und die Proportionen angeht. Dennoch ist es eine sehr schlechte sympathetische Darstellung. Deswegen wäre jede sympathetische Verbindung, die darüber hergestellt würde, sehr schwach. Sie hätte einen Wirkungsgrad von allenfalls zwei Prozent. Wie könnten wir das verbessern?«
    Wieder herrschte Schweigen, diesmal jedoch nicht so lange wie zuvor. »Man könnte sie größer machen«, schlug jemand vor. Ich nickte und wartete. Auch andere Studenten meldeten sich zu Wort. »Man könnte Meister Hemmes Gesicht hineinschnitzen.« »Man könnte sie anmalen.« »Man könnte ihr einen kleinen

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