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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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beantwortete sich die Frage gleich selbst: »Nein, Nahlwurz natürlich. Ich werde alt, dass ich das nicht gleich bemerkt habe. Das erklärt auch, warum du mir nicht meinen schönen sauberen Tisch vollblutest.« Er sah mich mit ernstem Blick an. »Wie viel?«
    Ich sah keine Möglichkeit mehr, es zu bestreiten. »Zwei Skrupel.«
    Arwyl schwieg einen Moment lang. Dann nahm er die Brille ab und putzte sie an seinem Ärmel. Er setzte sie wieder auf und sah mir in die Augen. »Es wundert mich nicht, dass ein Junge, der Angst vor einer Auspeitschung hat, sich unter Drogen setzt.« Er sah mich streng an. »Aber wenn er solche Angst hat, warum zieht er sich dann vorher das Hemd aus?« Er runzelte die Stirn. »Du wirst mir das alles erklären. Wenn du mich bisher belogen hast, gestehe es jetzt, dann verzeihe ich dir. Ich weiß, dass Jungen manchmal dumme Lügengeschichten erzählen.«
    Seine Augen hinter den Brillengläsern funkelten. »Aber wenn du von nun an lügst, werden weder ich noch einer meiner Gehilfen deine Wunden nähen. Ich lasse mich nicht belügen.« Er verschränkte die Arme vor der Brust. »Also. Erkläre es mir. Ich verstehe nicht, was hier vor sich geht. Und das ist es vor allem, was ich nicht haben kann.«
    Meine letzte Zuflucht war die Wahrheit. »Mein Lehrer Abenthy hat mir so viel medizinisches Wissen vermittelt, wie er nur konnte«, erklärte ich. »Und als ich dann auf den Straßen von Tarbean lebte,musste ich mich um mich selber kümmern.« Ich wies auf mein Knie. »Mein Hemd habe ich heute ausgezogen, weil ich nur zwei Hemden besitze, und weil es lange her ist, dass ich mal ein zweites Hemd besessen habe.«
    »Und die Nahlwurz?«, fragte er.
    Ich seufzte. »Ich passe hier nicht her, Sir. Ich bin jünger als alle anderen, und viele finden, dass ich hier nichts zu suchen habe. Ich habe viele Studenten gegen mich aufgebracht, weil ich so schnell in das Arkanum aufgenommen wurde. Und es ist mir gelungen, mir Meister Hemmes Gunst zu verscherzen. All diese Studenten und Hemme und seine Freunde, sie alle behalten mich im Blick und warten nur darauf, dass ich mir irgend eine Blöße gebe.«
    Ich atmete tief durch. »Ich habe die Nahlwurz genommen, weil ich nicht ohnmächtig werden wollte. Ich musste ihnen zeigen, dass sie mir nichts anhaben können. Die beste Methode, in Sicherheit zu bleiben, besteht darin, die Gegner glauben zu lassen, dass sie einem nichts anhaben können.« Es klang nicht schön, wenn man es so unverblümt aussprach, aber es war die Wahrheit. Ich sah ihn mit trotziger Miene an.
    Arwyl sah mich schweigend mit leicht verengten Augen an, so als versuche er, in mich hinein zu blicken. Er rieb sich wieder mit dem Finger die Oberlippe entlang.
    »Ich glaube, wenn ich älter wäre«, sagte er so leise wie im Selbstgespräch, »würde ich sagen, dass du dich lächerlich machst und dass unsere Studenten erwachsene Leute sind und keine unreifen, schadenfrohen Bengel.«
    Er hielt kurz inne, während er sich immer noch gedankenverloren die Oberlippe entlangfuhr. Dann lächelte er mich an. »Aber so alt bin ich noch nicht. Ich bin noch nicht einmal halb so alt. Jeder, der glaubt, Jungen seien unschuldig und süß, ist nie selber ein Junge gewesen oder hat vergessen, wie das ist. Und jeder, der glaubt, die Menschen seien nicht grausam, kommt vermutlich nicht allzu oft vor die Tür. Und er kann ganz gewiss nie Arzt gewesen sein. Wir sehen die Folgen der Grausamkeit deutlicher als alle anderen.«
    Ehe ich darauf etwas erwidern konnte, sagte er: »Und jetzt hältst du den Mund, E’lir Kvothe, sonst sehe ich mich gezwungen, dir einabscheulich schmeckendes Tonikum hineinzukippen. Ah, da kommen sie ja.« Letzteres galt zwei Studenten, die hereinkamen. Der eine war der Assistent, der mich hereingeführt hatte, die andere überraschenderweise eine junge Frau.
    »Ah, Re’lar Mola.« Arwyl gab sich sehr angetan, und alle Anzeichen unseres ernsten Gesprächs wichen aus seinem Gesicht. »Wie du gehört hast, hat unser Patient zwei gerade, saubere Schnittwunden. Was hast du mitgebracht?«
    »Abgekochtes Leinentuch, Nadel, Faden, Alkohol und Jod«, erwiderte sie. Sie hatte grüne Augen, die sich von ihrem eher blassen Gesicht abhoben.
    »Was? Kein Sympathiewachs?«
    »Nein, Meister Arwyl«, antwortete sie und wurde angesichts seines Tonfalls ein wenig bleich.
    »Und warum nicht?«
    Sie zögerte. »Weil ich das nicht brauche.«
    Arwyl lächelte zufrieden. »Stimmt. Natürlich brauchst du das nicht. Ausgezeichnet.

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