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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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etwa hundert Studenten hier eingefunden, was dem Ganzen einen seltsam festlichen Anstrich verlieh.
    »Normalerweise ist das keine so große Sache«, sagte Wilem entschuldigend. »Aber einige Meister haben eigens deswegen ihren Unterricht abgesagt.«
    »Wahrscheinlich Hemme und Brandeur.«
    Wilem nickte. »Hemme ist sehr nachtragend. Der kommt mit seiner ganzen Clique.« Er hielt inne. »Sagt man so? Clique ?«
    Ich nickte. Wilem schien froh ob seiner Sprachbeherrschung,runzelte dann aber die Stirn. »Apropos, da fällt mir etwas ein, das ich an eurer Sprache seltsam finde. Die Leute fragen mich ständig nach der Straße nach Tinuë. Ständig fragen sie: ›Wie ist die Straße nach Tinuë?‹ Was hat das zu bedeuten?«
    Ich lächelte. »Das ist eine idiomatische Wendung. Will sagen –«
    »Ich weiß, was eine idiomatische Wendung ist«, unterbrach er mich. »Aber was bedeutet sie?«
    »Oh, das ist nur so ein Gruß. So als ob man fragt, ›Wie geht’s denn so?‹«
    »Was ebenfalls eine idiomatische Wendung ist«, grummelte Wilem. »Eure Sprache steckt voller Blödsinn. Ich frage mich, wie ihr euch überhaupt gegenseitig versteht. Wie geht’s denn so? Was geht denn da? Und wohin?« Er schüttelte den Kopf.
    »Offenbar nach Tinuë.« Ich grinste ihn an. »Tuan volgen oketh ama«, sagte ich und verwendete damit eine meiner liebsten Redewendungen aus dem Siaru. Sie meinte: »Lass dich davon nicht verrückt machen.« Wörtlich aber bedeutete sie: »Steck dir deswegen keinen Löffel ins Auge.«
    Wir verließen den Hof und schlenderten eine Zeitlang ziellos über den Campus. Wilem zeigte mir noch ein paar wichtige Gebäude, darunter einige gute Schenken, den Alchemie-Komplex, die kealdische Wäscherei und die legalen wie auch die illegalen Bordelle. Wir schlenderten an den grauen Mauern der Bibliothek entlang, vorbei an einer Böttcherei, einer Buchbinderei, einer Apotheke …
    Da kam mir eine Idee. »Kennst du dich mit Kräutern aus?«, fragte ich.
    Er schüttelte den Kopf. »Mehr mit Chemie. Was willst du denn über Kräuter wissen?«
    »Nichts. Könntest du mir einen Gefallen tun?« Er nickte, und ich wies auf die nahe Apotheke. »Kauf mir bitte zwei Skrupel Nahlwurz.« Ich hielt ihm zwei Eisendeute hin. »Das dürfte reichen.«
    »Warum ich?«, fragte er argwöhnisch.
    »Weil ich nicht will, dass mich der Apotheker da drin mit diesem ›Du bist aber noch sehr jung‹-Blick ansieht. Das kann ich heute nicht auch noch gebrauchen.«
    Ich tänzelte förmlich vor Aufregung, als Wilem endlich wiederkam. »Er hatte viel zu tun«, erklärte er entschuldigend, als er meine ungeduldige Miene sah. Er gab mir eine kleine Papiertüte und etwas Wechselgeld. »Was ist denn das?«
    »Das beruhigt den Magen«, sagte ich. »Das Frühstück ist mir nicht gut bekommen, und ich will nicht kotzen müssen, während ich ausgepeitscht werde.«
    Ich bestellte uns in der nächsten Schenke zwei Gläser Apfelwein, spülte mit meinem die Nahlwurz hinunter und mühte mich, bei dem bitteren und kalkigen Geschmack nicht das Gesicht zu verziehen. Bald hörten wir den Glockenturm die Mittagsstunde schlagen.
    »Ich glaube, ich habe jetzt ein Seminar.« Wil gab sich Mühe, es ganz nebenbei zu erwähnen, aber es klang beinahe erstickt. Er sah mich verlegen an, unter seinem dunklen Teint ein wenig blass. »Ich kann kein Blut sehen.« Er lächelte unsicher. »Weder mein eigenes Blut … noch das Blut eines Freundes …«
    »Ich habe nicht vor, groß zu bluten«, sagte ich. »Aber mach dir keine Sorgen. Du hast mir geholfen, das Schlimmste zu überstehen – das Warten. Danke.«
    Wir gingen auseinander, und ich kämpfte gegen mein schlechtes Gewissen an. Obwohl er mich noch keine drei Tage kannte, hatte sich Wil große Mühe gegeben, mir zu helfen. Er hätte es sich auch einfach machen und mir wie so viele andere die schnelle Aufnahme in das Arkanum verübeln können. Statt dessen hatte er mir einen Freundschaftsdienst erwiesen und mir geholfen, eine schwierige Zeit zu überstehen, und ich hatte es ihm mit Lügen vergolten.

    Als ich zum Fahnenmast ging, spürte ich die Blicke der Anwesenden auf mir. Wie viele waren gekommen? Zweihundert? Dreihundert? Ab einem bestimmten Punkt spielen diese Zahlen keine Rolle mehr, und es bleibt nur noch eine gesichtslose Menschenmenge.
    Dank meiner Bühnenerfahrung hielt ich den Blicken stand. Ich ging sicheren Schritts durch ein Meer aus leisem Gemurmel. Ich legte keinerlei Stolz in meine Haltung, denn ich wusste,

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