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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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oft dort, weil es mich amüsierte, wie die Studenten guckten, wenn sie mich an diesem Ort erblickten. Nun saß ich dort, weil ich mich dort wohl fühlte. Es war mein Platz.
    Und weil wir viel Zeit miteinander verbracht hatten, war es auch Wilems und Simmons Platz geworden. Wenn sie es seltsam fanden, dass ich mir diese Stelle ausgesucht hatte, so sprachen sie es nicht aus.
    »Man sieht dich ja kaum noch«, sagte Wilem, den Mund voll Fleischpastete. »Warst du krank?«
    »Na klar«, sagte Simmon sarkastisch. »Er war einen ganzen Monat lang krank.«
    Wilem funkelte ihn an und erinnerte mich einen Moment lang mit seinem Gesichtsausdruck an Kilvin.
    Seine Miene brachte Simmon zum Lachen. »Wil ist höflicher als ich. Ich wette, du hast deine gesamte Freizeit damit verbracht, zwischen Imre und hier zu pendeln und als Barde einer äußerst attraktiven jungen Frau den Hof gemacht.« Er zeigte auf den Lautenkasten, der neben mir lag.
    »Er sieht aber so aus, als ob er krank gewesen wäre.« Wilem beäugte mich prüfend. »Deine Freundin hat nicht gut auf dich aufgepasst.«
    »Er hat Liebeskummer«, meinte Simmon. »Kriegt keinen Bissen mehr runter und kein Auge mehr zu. Denkt nur noch an sie, auch wenn er eigentlich eine Geheimschrift auswendig lernen sollte.«
    Mir fiel keine Erwiderung darauf ein.
    »Siehst du?«, sagte Simmon zu Wil. »Sie hat ihm nicht nur das Herz geraubt, sondern auch die Zunge. Er hat nur noch Worte für sie. Für uns hat er keine mehr übrig.«
    »Er hat auch keine Zeit mehr für uns«, erwiderte Wilem. Seine Fleischpastete war schon fast verschwunden.
    Sie hatten natürlich recht: Ich hatte meine Freunde noch mehr vernachlässigt als mich selbst. Ich bekam große Gewissensbisse. Ich konnte ihnen nicht die ganze Wahrheit sagen – dass ich aus diesem Trimester so viel herausholen musste wie nur möglich, da es sehr wahrscheinlich mein letztes war, weil ich vollkommen pleite war.
    Wenn ihr nicht versteht, warum ich es nicht über mich brachte, ihnen das alles zu erzählen, so seid ihr wahrscheinlich nie wirklich arm gewesen. Ich bezweifle, dass ihr nachempfinden könnt, wie beschämend es ist, nur zwei Hemden zu besitzen oder sich die Haare selbst schneiden zu müssen, weil man sich keinen Barbierbesuch leisten kann. Als ich einen Knopf verlor, konnte ich kein Scherflein entbehren, um einen neuen zu kaufen. Als ich mir die Hose am Knie aufriss, musste ich sie mit einem Faden in der falschen Farbe flicken. Für das Essen konnte ich mir kein Salz leisten, und an den seltenen Abenden, an denen ich mit meinen Freunden ausging, keine Getränke.
    Das Geld, das ich in Kilvins Werkstatt verdiente, ging für das Allernötigste drauf: Tinte, Seife, Lautensaiten … Das Einzige, was ich mir leisten konnte, war Stolz. Ich konnte die Vorstellung nicht ertragen, dass meine beiden besten Freunde erfuhren, wie verzweifelt meine Lage war.
    Wenn ich sehr großes Glück hatte, war ich vielleicht in der Lage, die zwei Talente aufzubringen, um Devi die Kreditzinsen zu bezahlen. Aber es würde schon ein großes Wunder erfordern, dass ich genug Geld zusammenbekäme, um zusätzlich auch noch die Studiengebühren berappen zu können. Und was sollte ich anfangen, wenn ich dann die Universität gezwungenermaßen verlassen und Devi alleszurückgezahlt hatte? Ich hatte keine Ahnung. Vielleicht würde ich nach Anilin reisen, um nach Denna zu suchen.
    Ich sah die beiden an und wusste nicht, was ich sagen sollte. »Wil, Simmon, es tut mir Leid. Ich hatte in letzter Zeit schrecklich viel um die Ohren.«
    Simmon wurde ein wenig ernster, und ich sah, dass er wegen meiner unentschuldigten Abwesenheit ernsthaft gekränkt war. »Wir haben auch viel zu tun, weißt du. Ich studiere Rhetorik und Chemie, und ich lerne Siaru.« Er wandte sich an Wilem und blickte ihn finster an. »Und so allmählich beginne ich eure Sprache zu hassen.«
    »Tu kralim«, entgegnete der Kealde freundlich.
    Wieder an mich gewandt, sagte Simmon: »Es ist nur, dass wir dich gerne öfter sehen würden, als nur alle paar Tage mal, wie du vom Hauptgebäude zum Handwerkszentrum hastest. Mädchen sind etwas Wunderbares, das werde ich nicht bestreiten, aber wenn eine mir einen Freund wegnimmt, werde ich ein wenig eifersüchtig.«
    Ich hatte einen riesigen Kloß im Hals. Ich konnte mich nicht erinnern, wann mich das letzte Mal jemand vermisst hatte. Ich hatte sehr lange niemanden mehr gehabt, der mich vermisst hätte, und ich spürte, dass mir die Tränen kamen. »Es

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