Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
Vom Netzwerk:
noch weitere Feinde gemacht, wenn ich dort gespielt hätte, während meine Kommilitonen schlafen oder lernen wollten. Deshalb war dieser Ort da oben ideal. Er war abgelegen und praktisch direkt vor meiner Tür.
    Die Hecken dort wucherten wild, und die einstigen Rasenflächen waren nun Blumenwiesen. Doch unter dem Apfelbaum stand eine Bank, die meinen Bedürfnissen bestens entsprach. Meist kam ich spätabends hierher, wenn das Hauptgebäude verlassen und abgesperrt war. Doch an diesem Tag war Theden, und das bedeutete, dass mir, wenn ich mich mit dem Abendessen beeilte, zwischen einem Seminar bei Elxa Dal und meiner Arbeit im Handwerkszentrum fast eine Stunde blieb. Viel Zeit zum Üben.
    Als ich jedoch an diesem Abend auf dem Hof anlangte, sah ich in einigen Fenstern noch Licht. Brandeurs Vorlesung dauerte länger als gewöhnlich. So blieb ich auf dem Dach. Die Fenster des Hörsaals waren geschlossen, und es war sehr unwahrscheinlich, dass mich jemand hören würde.
    Ich lehnte mich mit dem Rücken an einen Schornstein und fing an zu spielen. Gut zehn Minuten später erloschen die Lichter, aber ich beschloss, trotzdem dort oben zu bleiben und keine Zeit mit dem Hinabsteigen in den Hof zu vergeuden.
    Als ich mitten in Der tolle Tim war, schaute mit einem Mal die Sonne zwischen den Wolken hindurch. Goldenes Abendlicht ergoss sich über das Dach und in einen Teil des Hofs.
    In diesem Moment hörte ich das Geräusch. Ein plötzliches Rascheln unten im Hof, wie von einem aufgeschreckten Tier. Darauf folgte ein zweites Geräusch, das nicht von einem Eichhörnchen oder Kaninchen stammen konnte. Es war ein metallischer Schlag, als ob eine schwere Eisenstange zu Boden gefallen wäre.
    Ich unterbrach mein Spiel. War dort unten ein Student, der mir lauschte? Ich packte die Laute ein, ging an den Rand des Daches und sah hinab.
    Durch die dichte Hecke, die einen Großteil der Ostseite des Hofs bedeckte, konnte ich nichts erkennen. War etwa ein Student aus dem Fenster geklettert?
    Die Sonne ging nun unter, und als ich den Apfelbaum hinabgeklettert war, lag der Hof größtenteils in Dunkelheit. Ich sah, dass das Fenster geschlossen war; auf diesem Weg konnte niemand hierher gelangt sein. Obwohl es nun schnell dunkel wurde, gewann meine Neugier die Oberhand über meine Vorsicht, und ich ging zu der Hecke.
    Hier war viel Platz. Teile der Hecke waren innen hohl, eine grüne Hülle aus Zweigen, die genug Platz bot, um dort bequem zu sitzen. Ich merkte mir den Ort als guten Schlafplatz, für den Fall, dass ich im nächsten Trimester das Geld für ein Bett in Mews nicht aufbringen konnte.
    Obwohl es schon recht dunkel war, sah ich, dass sich außer mir niemand dort aufhielt. Etwas Größeres als ein Kaninchen hätte sich dort nicht vor mir verstecken können. Und ich konnte auch nichts entdecken, was das metallische Geräusch verursacht haben konnte.
    Den sehr eingängigen Refrain von Der tolle Tim auf den Lippen kroch ich zum anderen Ende der Hecke. Erst als ich dort herauskam, bemerkte ich das Entwässerungsgitter. Ich hatte derartige Gitter schon auf dem ganzen Campus gesehen, aber dieses hier war älter und größer als die anderen. Ja, die Öffnung war ohne Gitter groß genug, dass ein Mensch hindurch passte.
    Ich ergriff eine der Gitterstangen und zog daran. Das schwere Gitter hob sich an einem Scharnier eine Handbreit, nicht weiter. In dem schummrigen Licht konnte ich nicht erkennen, warum es sich nicht weiter bewegen ließ. Ich zog fester, aber es nützte nichts. Schließlich gab ich es auf und ließ los. Es fiel knallend zu. Es klang, als wäre eine schwere Eisenstange zu Boden gefallen.
    Dann spürten meine Finger etwas, das meinen Augen entgangen war: eine Reihe von Ritzen, die sich über die Gitterstangen zogen. Ich sah genauer hin und erkannte einige der Runen, die ich bei Cammar gelernt hatte: ule und dok .
    Da ging mir plötzlich ein Licht auf. Der Refrain von Der tolle Tim fügte sich mit einem Mal zu den Runen, die ich in den vergangenen Tagen bei Cammar studiert hatte.
    Ule und dok sind
    Beide zum Binden
    Re zum Suchen
    Kel zum Finden
    Gea Schlüssel
    Teh Schloss
    Pesin Wasser
    Resin Stein
    Bevor ich noch etwas unternehmen konnte, schlug es zur sechsten Stunde. Der Glockenklang riss mich aus meinen Gedanken. Doch als ich die Hand ausstreckte, um mich abzustützen, spürten meine Finger kein Laub und keinen Erdboden. Sie berührten vielmehr etwas Rundes, Glattes, Festes: einen grünen Apfel.
    Ich ließ die Hecke hinter

Weitere Kostenlose Bücher