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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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hob mit beiden Händen seine Eisenstange.
    Der Chronist sah an dem Feuer vorbei. Im Wald regte sich etwas Dunkles.
    Sie huschten flach über dem Boden ins Licht: schwarze Gestalten, vielbeinig und groß wie Wagenräder. Die schnellste stürmte ohne zu zögern in den Kreis des Feuerscheins, bewegte sich mit der bestürzenden Schnelligkeit eines flitzenden Insekts.
    Eh der Chronist seinen Knüppel heben konnte, war das Ding ums Feuer gehuscht und sprang ihn schnell wie eine Grille an. Er riss die Hände hoch, und im selben Moment prallte ihm das schwarze Ding aufs Gesicht und die Brust. Die kalten, harten Beine scharrten haltsuchend, und der Chronist spürte einen stechenden Schmerz den ganzen Arm hinab. Beim Zurückweichen blieb er mit dem Absatz im unebenen Boden hängen und stolperte mit wild rudernden Armen rückwärts.
    Im Fallen erhaschte er einen letzten Blick auf den Kreis des Feuerscheins. Weitere schwarze Wesen huschten aus der Dunkelheit herbei, und ihre Füße ließen auf den Wurzeln, Steinen und Blättern ein schnelles Stakkato erklingen. Auf der anderen Seite des Feuers hielt der Mann in dem schweren Umhang seine Eisenstange mit beiden Händen bereit. Er stand reglos und lauerte.
    Beim Sturz rückwärts, mit dem dunklen Ding auf sich drauf, schlug der Hinterkopf des Chronisten mit dumpfem Knall an der Mauer auf. Die Welt um ihn her verlangsamte sich, verschwamm, wurde schwarz.

    Als der Chronist die Augen wieder aufschlug, erblickte er verwirrende dunkle Gestalten und Feuerschein. Er hatte rasende Kopfschmerzen. Außen an seinen Armen liefen grelle Schmerzen hinab, und beim Einatmen empfand er dumpfe Stiche in der linken Seite.
    Nachdem er eine ganze Weile vergeblich versucht hatte, sich zu konzentrieren, kam die Welt wieder verschwommen in Sicht. Der andere Mann saß bei ihm. Er trug keine Handschuhe mehr, und sein schwerer Umhang hing in Fetzen herab. Davon abgesehen aber schien er unversehrt. Die Kapuze verbarg sein Gesicht.
    »Ihr seid wach?«, fragte der Mann neugierig. »Das ist gut. Bei so einer Kopfverletzung weiß man ja nie.« Die Kapuze neigte sich ein wenig. »Könnt Ihr sprechen? Wisst Ihr, wo Ihr seid?«
    »Ja«, sagte der Chronist mit schwerer Zunge. Für ein einziges Wort schien es ihn viel zu viel Mühe zu kosten.
    »Umso besser. Und jetzt die dritte, die wichtigste Frage. Glaubt Ihr, Ihr könnt aufstehen und mir zur Hand gehen? Wir müssen die Kadaver verbrennen und vergraben.«
    Der Chronist bewegte den Kopf ein wenig, und sofort wurde ihm schwindelig und schlecht. »Was ist denn geschehen?«
    »Ich habe Euch möglicherweise ein paar Rippen gebrochen«, sagte der Mann. »Eines von denen hatte sich auf Euch gestürzt. Mir blieb keine andere Wahl.« Er zuckte die Achseln. »Es tut mir leid, dass es dazu kommen musste. Die Schnittwunden an Euren Armen habe ich bereits genäht. Die dürften gut verheilen.«
    »Sind sie fort?«
    Die Kapuze nickte. »Die Skraels ziehen sich niemals zurück. Sie sind wie Wespen. Sie greifen weiter an, bis sie tot sind.«
    Entsetzen machte sich auf dem Gesicht des Chronisten breit. »Es gibt ganze Nester von diesen Viechern?«
    »Gott behüte, nein. Es waren nur diese fünf. Aber dennoch müssen wir sie verbrennen und vergraben, nur um ganz sicher zu gehen. Ich habe schon das Holz gehackt, das wir dafür brauchen: Esche und Eberesche.«
    Der Chronist stieß ein Lachen aus, das leicht hysterisch klang. »Wie in dem Kinderlied:
    Hebt ein Loch aus, ‛s ist nicht schwer
    Zehn Fuß längs und zwei Fuß quer
    Esche, Ulme, Vogelbeer’ –«
    »Ja, genau«, sagte der Mann nüchtern. »Ihr würdet Euch wundern, was in Kinderliedern alles verborgen ist. Ich glaube zwar nicht, dass wir tatsächlich zehn Fuß tief graben müssen, aber gegen ein wenig Hilfe hätte ich trotzdem nichts einzuwenden …«
    Der Chronist betastete vorsichtig seinen Hinterkopf und betrachtete dann seine Finger, erstaunt, dass sie nicht blutig waren. »Ich glaube, es geht mir gut«, sagte er, stützte sich vorsichtig auf einen Ellenbogen und kämpfte sich von dort in eine sitzende Haltung hoch. »Gibt es –« Seine Augen flackerten, und er erschlaffte und kippte nach hinten. Sein Kopf prallte auf den Boden und blieb etwas seitlich geneigt liegen.

    Kote saß eine ganze Weile geduldig da und behielt den bewusstlosen Mann im Blick. Als sich an ihm nichts regte, außer dass sich seine Brust langsam hob und senkte, kniete er sich neben den Chronisten. Er zog ein Augenlid hoch, dann das andere,

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