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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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verschwindest.«
    Ehe ich etwas erwidern konnte, hörte ich, dass sich hinter den Bäumen etwas regte. Es raschelte im Unterholz, und dann knackte ein trockener Zweig. Die Geräusche wurden lauter, und dann hörte ich den schweren Atem eines großen Wesens. Dann ein tiefes, tierisches Grunzen.
    Das war kein Mensch. Und es waren auch nicht die Chandrian. Meine Erleichterung währte jedoch nicht lange, denn neben dem Grunzen hörte ich nun auch ein Schnüffeln. Es war ein Wildschwein, das wahrscheinlich zum Bach unterwegs war.
    »Stell dich hinter mich«, sagte ich zu Denna. Den meisten Leuten ist nicht klar, wie gefährlich Wildschweine sind, besonders im Herbst, wenn sich die Keiler Gefechte um ihre Vorherrschaft liefern. Sympathie half mir hier nicht weiter. Ich hatte keine Energiequelle und keine Verbindung. Ja, ich hatte nicht einmal einen Knüppel. Würde sich das Tier mit den paar Äpfeln, die ich noch übrig hatte, ablenken lassen?
    Das Wildschwein schob sich schnüffelnd und schnaufend zwischen Tannenästen hindurch. Es wog wahrscheinlich mindestens doppelt so viel wie ich. Als es uns erblickte, grunzte es laut und kehlig. Es hob den Kopf und versuchte, unsere Witterung aufzunehmen.
    »Nicht weglaufen, sonst jagt es dir nach«, sagte ich leise zu Denna und stellte mich langsam vor sie. Da mir nichts Besseres einfiel, zückte ich mein kleines Klappmesser und drückte mit dem Daumen die Klinge heraus. »Wir gehen ganz langsam rückwärts und in den Bach. Wildschweine sind keine guten Schwimmer.«
    »Ich glaube nicht, dass sie gefährlich ist«, sagte Denna in ganz normalem Ton hinter mir. »Sie wirkt doch eher neugierig als aggressiv. Nicht dass ich deinen Beschützerdrang nicht zu schätzen wüsste.«
    Auf den zweiten Blick sah ich, dass Denna recht hatte. Es war eine Sau, kein Eber oder Keiler, und unter einer Schlammschicht lugte die rosige Borste eines Hausschweins hervor. Gelangweilt senkte die Sau den Kopf und wühlte weiter im Unterholz herum.
    Erst da wurde mir klar, dass ich eine Art Kampfstellung eingenommen hatte, die Beine angewinkelt, eine Hand wie ein Ringer ausgestreckt und in der anderen mein jämmerliches Klappmesser, das so klein war, dass ich damit mehrmals ansetzen musste, wollte ich auch nur einen Apfel halbieren. Am schlimmsten jedoch war, dass ich nur einen Stiefel trug. Ich sah völlig lächerlich aus, so verrückt wie Elodin an einem seiner schlimmsten Tage.
    Ich wurde knallrot. »Gütiger Tehlu«, sagte ich. »Was bin ich doch für ein Idiot.«
    »Also ich fühle mich geschmeichelt«, sagte Denna. »Ich glaube, mir ist noch nie jemand beigesprungen, um mich zu verteidigen – von einigen üblen Auseinandersetzungen in Kneipen mal abgesehen.«
    »Ja, natürlich.« Ich hielt den Blick gesenkt und zog mir den anderen Strumpf und Stiefel an. Es war mir so peinlich, dass ich ihr nicht in die Augen sehen konnte. »Davon träumt ja nun wirklich jedes Mädchen, vor einem Hausschwein gerettet zu werden.«
    »Das ist mein Ernst.« Ich hob den Blick und sah Heiterkeit in ihrem Gesicht, aber keinen Spott. »Du sahst … wild entschlossen aus. Wie ein Wolf mit gesträubtem Nackenfell.« Sie hielt inne und sah mich an. »Oder eher wie ein Fuchs. Für einen Wolf hast du zu rotes Haar.«
    Ich atmete ein klein wenig auf. Ein wehrhafter Fuchs war immer noch besser als ein verwirrter Idiot.
    »Allerdings hältst du das Messer falsch«, sagte Denna ganz sachlich und wies mit einer Kopfbewegung auf meine Hand. »Wenn du so zustechen würdest, würdest du abrutschen und dir in den Daumen schneiden.« Sie ergriff meine Hand und verschob die Finger ein wenig. »Wenn du es so hältst, ist dein Daumen sicher. Der Nachteil ist aber, dass dann dein Handgelenk nicht mehr so beweglich ist.«
    »Du warst wohl schon in viele Messerstechereien verwickelt?«, fragte ich verdutzt.
    »Nicht in so viele, wie man meinen könnte«, erwiderte sie mit verschmitztem Lächeln. »Das ist auch so eine Seite aus dem alten, zerfledderten Buch, anhand dessen ihr Männer uns so gern den Hof macht.« Sie verdrehte die Augen. »Ich kann sie schon gar nicht mehr zählen, all die Männer, die versucht haben, mir die Unschuld zu rauben, indem sie mir zeigten, wie ich eben diese Unschuld am besten verteidigen kann.«
    »Ich habe dich noch nie ein Messer tragen sehen«, erwiderte ich. »Wie kommt das?«
    »Warum sollte ich ein Messer tragen?«, fragte Denna. »Ich bin doch ein zartes Pflänzchen. Und zudem ist eine Frau, die ganz offen mit

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