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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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redeten durcheinander.
    »… war das?«
    »… Notenblätter überall. Hilf mir, sie einzusammeln, bevor sie …«
    »… war das. Der da drüben mit dem roten …«
    »… Dämon. Ein Dämon des Windes und …«
    Ich blickte mich sprachlos und verwirrt um, bis Wilem und Simmon mich eilig fortzogen.

    »Wir wussten nicht, wohin wir ihn bringen sollten«, sagte Simmon zu Kilvin.
    »Erzählt mir das noch einmal«, sagte Kilvin ganz ruhig. »Aber diesmal spricht nur einer.« Er deutete auf Wilem. »Versuche alles der Reihe nach zu erzählen.«
    Wir waren in Kilvins Büro. Die Tür war geschlossen und die Vorhänge zugezogen. Wilem begann zu berichten, was geschehen war. Als er immer schneller sprach, wechselte er irgendwann ins Siaru. Kilvin nickte hin und wieder nachdenklich. Simmon hörte aufmerksam zu und ergänzte manchmal etwas.
    Ich saß etwas abseits auf einem Hocker. In meinem Kopf herrschte eine generelle Verwirrtheit, in der halb formulierte Fragenauftauchten. Meine Kehle war wund. Ich war körperlich vollkommen ausgelaugt. Und tief in meiner Brust brannte ein Zorn wie ein zu heißester Glut angefachtes Stück Kohle. Eine Benommenheit umfing mich, als wäre ich in eine dicke Wachsschicht eingeschlossen. Es gab keinen Kvothe mehr, nur die Verwirrung und den Zorn und ringsherum die Benommenheit. Ich war wie ein Spatz, der in einem Sturm hin und her geschleudert wird und keinen Zweig findet, auf dem er sicher landen kann.
    Wilem war mit seiner Schilderung fast fertig, als Elodin hereinkam, ohne anzuklopfen oder sich sonstwie anzukündigen. Wilem verstummte. Ich warf dem Meister der Namenskunde einen kurzen Blick zu und sah dann wieder auf die zerbrochene Laute in meinen Händen. Als ich sie umdrehte, schnitt ich mir an einer Bruchkante in den Finger. Nun saß ich da und sah zu, wie das Blut aus der Wunde trat und zu Boden tropfte.
    Elodin stellte sich direkt vor mich und beachtete die anderen gar nicht. »Kvothe?«
    »Es geht ihm nicht gut, Meister«, sagte Simmon mit vor Besorgnis schriller Stimme. »Er ist verstummt. Er spricht kein Wort mehr.« Ich hörte zwar die Worte, wusste auch, dass sie eine Bedeutung hatten und welche Bedeutung es jeweils war, konnte in dem Ganzen aber einfach keinen Sinn erkennen.
    »Ich glaube, er hat sich den Kopf gestoßen«, sagte Wilem. »Wenn er einen anguckt, ist da nichts. Seine Augen schauen wie die Augen eines Hundes.«
    »Kvothe?«, sagte Elodin noch einmal. Als ich nicht antwortete und auch den Blick nicht von meiner Laute hob, ergriff er vorsichtig mein Kinn und hob meinen Kopf, bis ich ihm in die Augen sah. »Kvothe.«
    Ich blinzelte.
    Er sah mich an. Seine dunklen Augen gaben mir ein wenig Halt. Dämpften den Sturm, der in mir toste. »Aerlevsedi«, sagte er. »Sag es.«
    »Was?«, fragte Simmon irgendwo fernab im Hintergrund. »Wind?«
    »Aerlevsedi«, wiederholte Elodin geduldig, und beobachtete mit seinen dunklen Augen aufmerksam mein Gesicht.
    »Aerlevsedi«, sagte ich benommen.
    Elodin schloss kurz die Augen, so als versuche er, die Klänge einer leisen Melodie zu erhaschen, die ein Windhauch vorüber trug. Als ich seine Augen nicht mehr sah, schwand die Wirkung schnell. Ich senkte den Blick wieder auf die zerbrochene Laute in meinen Händen, doch Elodin ergriff mein Kinn und hob erneut meinen Kopf.
    Er sah mir in die Augen. Die Benommenheit löste sich allmählich auf, doch in meinem Kopf toste immer noch ein Sturm. Dann wandelte sich Elodins Blick. Er sah mich nicht mehr an, sondern sah in mich hinein. Anders ist das nicht zu beschreiben. Er sah tief in mich hinein, sah mir nicht in die Augen, sondern durch die Augen hindurch. Sein Blick drang in mich und ließ sich tief in meiner Brust nieder, so als hätte er mit beiden Händen in mich hinein gegriffen und betastete nun die Gestalt meiner Lunge, die Regungen meines Herzens, die Hitze meines Zorns, das Muster des Sturms, der in mir wütete.
    Er beugte sich vor, und seine Lippen berührten mein Ohr. Ich spürte seinen Atem. Er sprach … und der Sturm legte sich. Ich hatte einen Ort gefunden, an dem ich landen konnte.
    Es gibt ein Spiel, das alle Kinder irgendwann einmal ausprobieren. Man streckt die Arme aus, dreht sich im Kreis und sieht zu, wie die ganze Welt verschwimmt. Erst ist es sehr verwirrend, doch wenn man sich lange genug im Kreise dreht, löst die Welt sich auf, und es ist einem gar nicht mehr schwindelig dabei.
    Hält man dann an, nimmt die Welt mit einem Ruck wieder ihre normale Gestalt an.

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