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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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schien darüber auch ein wenig erstaunt.
    »Gib sie mir«, sagte ich und streckte die Hand aus. Zu meinem Erstaunen bemerkte ich, dass meine Hand nicht zitterte. Dafür bebte ich innerlich – vor Furcht und vor Zorn.
    Zwei Seiten meiner selbst versuchten gleichzeitig zu sprechen. Die eine Seite rief: Bitte, tu ihr nichts! Nicht noch einmal! Mach sie nicht kaputt! Bitte gib sie mir wieder! Halt sie nicht so am Hals! Und die andere Seite skandierte: Ich hasse dich! Ich hasse dich! Ich hasse dich! , so als spie sie Gift und Galle.
    Ich machte einen Schritt vorwärts. »Gib sie mir.« Meine Stimme klang seltsam emotionslos. Nun hatte ich aufgehört, innerlich zu beben.
    Er hielt einen Moment lang inne, weil ihn etwas an meinem Tonfall irritierte. Ich spürte sein Unbehagen: Offenbar verhielt ich mich nicht so, wie er es erwartet hatte. Wilem und Simmon hinter mir hielten den Atem an. Auch Ambroses Freunde verhielten sich ruhig, ihrer Sache plötzlich nicht mehr so sicher.
    Dann lächelte Ambrose und hob eine Augenbraue. »Aber ich habe ein Lied für dich geschrieben, und das will begleitet werden.« Er packte die Laute grob und strich mit den Fingern achtlos über die Saiten, ohne auf Klang oder Rhythmus zu achten. Leute blieben stehen, um ihm zuzusehen, wie er sang:
    Es war einst ein Streuner, der Kvothe hieß,
    Ein Spötter, beredt und durchtrieben.
    Die Meister fanden ihn sehr gewitzt
    Und lohnten es ihm mit Hieben.
    Mittlerweile waren es zahlreiche Passanten, die sich Ambroses kleine Vorführung anhörten und darüber lachten. Davon ermutigt, verbeugte er sich mit schwungvoller Geste.
    »Und jetzt alle!«, rief er, hob in Dirigentenmanier die Hände und schwang meine Laute dabei wie einen Taktstock.
    Ich ging noch einen Schritt auf ihn zu. »Gib sie mir wieder, oder ich bringe dich um.« Und in diesem Moment meinte ich das vollkommen ernst.
    Da herrschte schlagartig Stille. Ambrose merkte, dass es ihm nicht gelingen würde, sich so über mich lustig zu machen, wie ihm das vorgeschwebt hatte, und er reagierte mit gespielter Lässigkeit darauf. »Manche Leute haben einfach keinen Humor«, sagte er und seufzte. »Hier, fang!«
    Er warf mir die Laute zu, aber Lauten sind nicht dazu gemacht, geworfen zu werden. Sie drehte sich in der Luft, und als ich die Hand nach ihr ausstreckte, griff ich ins Leere. Ob das nun unbeholfen oder grausam von Ambrose war, machte für mich nicht den geringsten Unterschied. Meine Laute landete mit dem Korpus auf dem Kopfsteinpflaster und gab einen splitternden Laut von sich.
    Er erinnerte mich an das Geräusch, mit dem die Laute meines Vaters damals in der schmutzigen Gasse in Tarbean unter mir zerbrochen war. Ich bückte mich und hob sie auf, und dabei klang sie wie ein verwundetes Tier. Ambrose sah sich noch einmal zu mir um, und ich sah eine gewisse Belustigung auf seinem Gesicht.
    Ich öffnete den Mund, um zu brüllen, zu schreien, um ihn zu verfluchen. Doch statt dessen drang etwas anderes aus meiner Kehle, ein Wort, ein Wort, das ich nicht kannte, an das ich mich auch in keiner Weise erinnern konnte.
    Dann hörte ich nur noch den Wind. Er toste über den Platz, als wäre plötzlich ein Sturm losgebrochen. In der Nähe schlitterte eine Kutsche seitwärts übers Pflaster, das Pferdegespann bäumte sich panisch auf. Notenblätter, die jemandem aus der Hand gerissen wurden, wirbelten um uns herum wie seltsame Blitze. Der Wind trieb mich einen Schritt weit voran. Alle trieb der Wind ein Stück voran. Alle, bis auf Ambrose, der herumgewirbelt und zu Boden geschleudert wurde, als wäre er von Gottes Hand niedergestreckt.
    Dann war es schlagartig wieder still. Die Noten trudelten wie Herbstlaub herab. Die Leute sahen sich wie benommen um, das Haar zerzaust, die Kleider in Unordnung. Etliche gerieten ins Straucheln, da sie sich gegen einen Sturm angestemmt hatten, der plötzlich nicht mehr da war.
    Mir tat die Kehle weh. Und meine Laute war zerstört.
    Ambrose kam taumelnd wieder auf die Beine. Er hielt sich den Arm, und Blut lief ihm übers Haar. Der verwirrte und verängstigte Blick, mit dem er mich ansah, verschaffte mir einen kurzen Moment der Genugtuung. Ich überlegte, ihn noch einmal anzuschreien, und fragte mich, was dann wohl geschehen würde. Würde der Wind erneut kommen? Oder würde ihn diesmal der Erdboden verschlingen?
    Ich hörte, wie ein Pferd panisch wieherte. Leute strömten aus dem Eolian und den anderen Häusern am Platz. Die Musiker sahen sich aufgeschreckt um, und alle

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