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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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zeigte. Ich hatte jedoch eine Begabung dafür, die noch weit über meine angeborene Neigung hinausging, Wissen aufzusaugen wie ein Schwamm, und so ging es immer recht flott voran.

    Ich will damit nicht sagen, dass immer alles glatt lief. Die gleiche Neugier, die mich zu einem lernbegierigen Schüler machte, brachte mich oft auch in Schwierigkeiten.
    Eines Abends, als ich gerade unser Kochfeuer aufschichtete, ertappte mich meine Mutter dabei, wie ich ein Lied sang, das ich am Tag zuvor aufgeschnappt hatte. Ich hatte nicht mitbekommen, dass sie hinter mir stand, und so hörte sie mit an, wie ich mit zwei Brennholzklötzen den Takt schlug und dazu sang:
    Lady Lackless – sieben Pfänder
    Birgt sie unter den Gewändern:
    Einen Ring, den man nicht ansteckt,
    Auch ein Wort, das laut nach Lust schmeckt.
    Eine klinkenlose Tür
    Harrt der Kerze für und für.
    Für die Klunker ihres Herren
    Gibt’s ein Kästchen ohne Sperren.
    Ein Geheimnis hütet sie,
    Wenn sie träumt, schläft sie doch nie.
    Auf verstreunten Unwegswegen
    Mag Lackless ihr Rätsel pflegen.
    Ein kleines Mädchen hatte das beim Himmel-und-Hölle-Spielen gesungen. Ich hatte es nur zweimal gehört, aber es war mir im Gedächtnis haften geblieben, auch weil es sehr einprägsam war, wie die meisten Kinderlieder.
    Doch als meine Mutter es hörte, kam sie zu mir ans Feuer. »Was hast du da gerade gesungen, Schatz?« Ihre Stimme klang nicht ärgerlich, aber ich merkte, dass sie auch nicht gerade erfreut war.
    »Das habe ich in Fallows aufgeschnappt«, antwortete ich ausweichend. Sich mit den örtlichen Kindern davonzumachen war meistens verboten. Aus Misstrauen wird schnell Abneigung , schärfte mein Vater neuen Mitgliedern unserer Truppe stets ein, also bleibt zusammen, wenn ihr in einer Stadt seid, und seid höflich . Ich legte noch ein paar kräftigere Zweige aufs Feuer und ließ die Flammen daran züngeln.
    Meine Mutter schwieg einen Moment lang, und ich hoffte schon, sie würde es dabei bewenden lassen, doch dann sagte sie: »Es ist aber nicht schön, so etwas zu singen. Hast du dir denn gar nicht überlegt, was das bedeutet?«
    Das hatte ich tatsächlich nicht. Ich hatte es für Nonsense-Verse gehalten. Als ich es mir jedoch noch einmal durch den Kopf gehen ließ, erkannte ich die doch recht offensichtlichen Anzüglichkeiten. »Jetzt verstehe ich, was du meinst. Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht.«
    Da wurde ihr Blick wieder freundlicher, und sie strich mir übers Haar. »Denk immer darüber nach, was du singst, Schatz.«
    Dem Ärger schien ich entronnen zu sein, aber ich konnte mir die Frage nicht verkneifen: »Inwiefern ist das denn etwas anderes als diese Stellen in Die Geduldsprobe ? Zum Beispiel die, in der sich Fain bei Lady Perial nach ihrem Häubchen erkundigt? ›Mir haben schon so viele Männer davon vorgeschwärmt – nun möchte ich es auch selber einmal sehen und fühlen, wie es sich um den Kopf schmiegt.‹ Es ist doch wohl klar, was er in Wirklichkeit damit meint.«
    Meine Mutter bekam einen strengen Zug um den Mund, nicht ärgerlich, aber auch nicht erfreut. Dann veränderte sich ihre Miene. »Erklär du mir den Unterschied«, sagte sie.
    Ich hasse so etwas. Der Unterschied lag doch auf der Hand: Das eine brachte mich in Schwierigkeiten, das andere nicht. Ich wartete einen Moment lang, um deutlich zu machen, dass ich gründlich darüber nachgedacht hatte, und schüttelte dann den Kopf.
    Meine Mutter kniete sich vors Feuer und wärmte sich die Hände. »Der Unterschied ist – holst du mir bitte mal den Dreifuß?« Sie gab mir einen kleinen Stups, und ich flitzte los, um ihn hinten aus unserem Wagen zu holen. Sie fuhr währenddessen fort: »Der Unterschied ist, ob man etwas zu jemandem sagt oder über jemanden. Ersteres mag unverschämt sein, zweiteres aber ist unweigerlich Klatsch und Tratsch.«
    Ich brachte ihr den Dreifuß und half ihr, das Gestell über dem Feuer zu montieren. »Und außerdem ist Lady Perial nur eine literarische Gestalt. Lady Lackless hingegen ist eine Frau aus Fleisch und Blut, deren Gefühle man verletzen kann.« Sie sah zu mir hoch.
    »Das wusste ich nicht«, protestierte ich.
    Ich muss eine hinreichend klägliche Gestalt abgegeben haben, denn sie schloss mich in die Arme und gab mir einen Kuss. »Das ist nichts, weswegen man in Tränen ausbrechen müsste, Schatz. Du sollst dir bloß immer überlegen, was du tust.« Sie strich mir übers Haar und lächelte freundlich. »Und ich schätze mal, du könntest

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