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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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es sowohl Lady Lackless als auch mir gegenüber wieder gutmachen, wenn du jetzt Brennesseln für unsere Suppe pflücken würdest.«
    Mir war jeder Vorwand recht, um ihrem strengen Urteil zu entkommen und für eine Weile durch das Wäldchen am Straßenrand zu tollen. Als sie die Worte sprach, war ich auch schon verschwunden.

    Ich sollte einmal klar und deutlich sagen, dass es sich bei der Zeit, die ich mit Ben verbrachte, in erster Linie um meine Freizeit handelte. Daneben hatte ich stets meine normalen Pflichten in der Truppe zu verrichten. Ich spielte bei Bedarf den Pagen oder Edelknaben. Ich half beim Bühnenbild und bei den Kostümen. Ich rieb abends die Pferde ab und betätigte, wenn wir bei einem Stück Donnergrollen brauchten, hinter der Bühne das Donnerblech.
    Aber ich beklagte mich nicht über den Verlust an Freizeit. Die unendliche Energie des Kindes und mein unersättlicher Wissensdurst machten das nun folgende Jahr zu einem der glücklichsten meines Lebens.

Kapitel 12
    Puzzleteile, die sich ineinander fügen

    G egen Ende dieses Sommers hörte ich zufällig ein Gespräch mit an, das mich aus meinem Zustand seliger Unwissenheit riss. Solange wir Kinder sind, denken wir nur selten an die Zukunft. Diese Unschuld ermöglicht es uns, uns zu vergnügen, wie nur wenige Erwachsene das können. Der Tag, an dem wir beginnen, uns Gedanken über die Zukunft zu machen, ist der Tag, an dem wir unsere Kindheit hinter uns lassen.
    Es war Abend, und die Truppe hatte am Straßenrand ihr Lager aufgeschlagen. Abenthy hatte mir ein neues Teilstück der Sympathie zum Üben aufgegeben: Die Maxime von der wechselnden Wärme und der beständigen Bewegung – oder etwas Anspruchsvolles in dieser Art.
    Es war verzwickt, aber dann hatte es sich doch wie passende Puzzleteile ineinander gefügt. Ich brauchte knapp eine Viertelstunde dafür, und Abenthys Ton nach hatte er damit gerechnet, dass es mich mindestens drei oder vier Stunden kosten würde.
    Also ging ich ihn suchen. Zum einen, um mir meine nächste Lektion abzuholen, und zum anderen, damit ich mich ein klein wenig selbstgefällig aufführen konnte.
    Ich fand ihn beim Wagen meiner Eltern. Ich hörte die drei, lange bevor ich sie sah. Ihre Stimmen waren nur ein Gemurmel, die ferne Musik, zu der ein Gespräch wird, wenn man kein einzelnes Wort versteht. Als ich jedoch näher kam, hörte ich ein Wort klar und deutlich: Chandrian .
    Als ich das hörte, blieb ich stehen. Jeder in der Truppe wusste, dass mein Vater an einem Lied arbeitete. Seit über einem Jahr hatte erüberall, wo wir auftraten, den Leuten alte Geschichten und Weisen entlockt.
    Monatelang waren es Geschichten über Lanre gewesen. Dann hatte er begonnen, auch alte Märchen zu sammeln, Sagen über Schreckgespenster und Butzemänner. Und schließlich fing er an, Fragen über die Chandrian zu stellen …
    Das lag nun schon einige Monate zurück. Im Laufe des vergangenen halben Jahres hatte er sich immer häufiger nach den Chandrian erkundigt und immer seltener nach Lanre, Lyra und den anderen. Die meisten Lieder meines Vaters waren nach einer Saison fertig geschrieben, die Arbeit an diesem aber ging nun schon ins zweite Jahr.
    Ihr solltet außerdem wissen, dass mein Vater, solange ein Lied nicht fertig war, keinen Ton daraus nach draußen dringen ließ. Einzig und allein meine Mutter zog er ins Vertrauen, denn sie hatte bei jedem Lied, das er schrieb, ihre Hand im Spiel. Die brillante Musik kam von ihm, die besten Texte stammten von ihr.
    Wenn man einige Spannen oder Monate darauf wartet, ein endlich fertig gestelltes Lied zu hören, kann man die Vorfreude noch genießen. Nach anderthalb Jahren jedoch waren die meisten in der Truppe förmlich verrückt vor Neugier. Das führte hin und wieder zu harten Worten, wenn jemand dabei erwischt wurde, wie er unserem Wagen zu nahe kam, während meine Eltern drinnen an dem Lied arbeiteten.
    Ich schlich mich jedenfalls näher ans Lagerfeuer meiner Eltern heran. Heimliches Lauschen ist eine beklagenswerte Angewohnheit, aber ich habe seither noch üblere angenommen.
    »… nicht allzu viel darüber«, hörte ich Ben sagen. »Aber wo ich kann, helfe ich gern.«
    »Es freut mich, dass ich mal mit einem gebildeten Mann über dieses Thema sprechen kann.« Der kräftige Bariton meines Vaters bildete einen Kontrast zu Bens Tenor. »Ich habe diese abergläubische Landbevölkerung so satt, und …«
    Jemand legte Holz ins Feuer, und das darauf folgende Knacken übertönte kurz die

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