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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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Ben leise. Er sah alt und müde aus. »Und warum haltet ihr, wenn ihr zu so einem Stein kommt?«
    »Einfach nur so. Das ist mal was anderes.« Ich überlegte. »Ich glaube, diese Steine sollen Glück bringen.« Ich wünschte, ich hätte noch mehr zu sagen gehabt und hätte das Gespräch am Laufen halten können, da sein Interesse nun einmal geweckt war, aber weiter fiel mir nichts ein.
    »Aha.« Ben lenkte Alpha und Beta zu einer Stelle an der Rückseite des Steins, fort vom Gros der anderen Wagen. »Komm zum Abendessen wieder oder gleich anschließend. Wir müssen reden.« Ohne mich noch einmal anzusehen, wandte er sich ab und begann Alpha auszuspannen.
    In einer solchen Stimmung hatte ich Ben noch nie erlebt. Ich hatte Angst, dass ich zwischen uns alles kaputtgemacht hatte, und lief zum Wagen meiner Eltern.
    Meine Mutter saß vor einem frisch entfachten Feuer und legte mit Bedacht Zweige hinein. Mein Vater saß hinter ihr und massierte ihr den Nacken und die Schultern. Sie sahen auf, als sie mich kommen hörten.
    »Darf ich heute Abend bei Ben essen?«
    Meine Mutter sah meinen Vater an, dann wieder mich. »Du sollst ihm aber nicht zur Last fallen, Schatz.«
    »Er hat mich eingeladen. Und wenn ich jetzt gleich zu ihm gehe, kann ich ihm noch helfen, sein Lager aufzuschlagen.«
    Sie bewegte die Schultern, und mein Vater massierte sie weiter. Sie lächelte mich an. »Na gut, aber halt ihn nicht die halbe Nacht wach. Und gib mir einen Kuss.« Sie streckte die Arme aus, und ich umarmte sie und gab ihr einen Kuss.
    Mein Vater gab mir auch einen Kuss. »Gib mir mal dein Hemd. Dann habe ich etwas zu tun, während deine Mutter das Abendessen zubereitet.« Er schälte mich heraus und betastete die zerrissenen Stellen. »Dieses Hemd ist ja vollkommen löchrig.«
    Ich begann eine Erklärung zu stammeln, aber er winkte ab. »Ich weiß, ich weiß, es geschah alles im Dienste der Kunst. Aber sei künftig bitte vorsichtiger, sonst darfst du es beim nächsten Mal selberflicken. In deiner Truhe liegt ein frisches Hemd. Und sei bitte so nett und bring mir Nadel und Faden mit.«
    Ich lief zum Wagen und zog mir ein frisches Hemd über. Während ich Nadel und Faden suchte, hörte ich meine Mutter singen:
    Am Abend, wenn die Sonne untergeht,
    Schau ich von oben nach dir aus.
    Für deine Heimkehr ist’s schon viel zu spät,
    Doch liebend treu hüt’ ich das Haus.
    Mein Vater antwortete:
    Am Abend, wenn das Licht muss scheiden,
    Wird’s Zeit, dass ich mich heimwärts wend’.
    Der Wind seufzt durch die Trauerweiden.
    Wenn nur daheim das Feuer brennt!
    Als ich aus dem Wagen stieg, hielt er sie in einer verwegenen Umarmung und küsste sie. Ich legte Nadel und Faden neben mein Hemd und wartete. Es schien ein schöner Kuss zu sein. Ich beobachtete die beiden und war mir vage bewusst, dass ich irgendwann einmal auch selber eine Frau würde küssen wollen und dass ich es, wenn es so weit war, richtig gut machen wollte.
    Mein Vater bemerkte mich und setzte meine Mutter wieder auf den Füßen ab. »Das macht dann einen halben Penny fürs Zuschauen, du kleiner Voyeur«, lachte er. »Was machst du denn überhaupt noch hier, Junge? Ich wette den nämlichen halben Penny, dass eine Frage dich aufgehalten hat.«
    »Warum halten wir, wenn wir zu einem Graustein kommen?«
    »Ein alter Brauch«, sagte er und breitete mit großer Geste die Arme aus. »Und Aberglaube. Was übrigens das gleiche ist. Wir halten, weil es Glück bringen soll und weil alle sich freuen, wenn sie unerwarteterweise mal ein paar Stunden frei haben.« Er hielt inne. »Ich kannte mal ein kleines Gedicht über diese Steine. Wie ging das noch …?
    Wie ein Ziehstein selbst im Schlaf so führt
    An der alten Straße wohl ein steh’nder Stein
    Immer tiefer uns nach Fae hinein.
    Und ein Raststein, macht man irgend Rast,
    Und ein Graustein führt zu ... irgendwas mit » -ast«.
    Mein Vater stand ein, zwei Sekunden lang da, den Blick in die Ferne gerichtet, und zupfte sich die Unterlippe. Schließlich schüttelte er den Kopf. »Mir fällt nicht mehr ein, wie der letzte Vers endet. O Mann, wie ich Gedichte hasse. Wie soll sich irgendjemand denn einen Text merken, der nicht vertont wurde?« Er zog vor Konzentration die Stirn in Falten und probierte die Worte lautlos auf der Zunge.
    »Was ist denn ein Ziehstein?«, fragte ich.
    »Das ist eine alte Bezeichnung für einen Magneteisenstein«, erklärte meine Mutter. »Das sind Sterneisenbrocken, die alle anderen Arten von Eisen anziehen. Ich

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