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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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hätte.
    Tränen liefen mir übers Gesicht, und ich warf mich hin und her. Ich wusste, dass ich nun sterben musste. Mit tauben, eiskalten Händen krallte ich mich wie ein Irrer in den Erdboden.
    Ich war mir bewusst, dass jemand schrie, aber das schien von sehr weit her zu kommen. Ben kniete über mir, und hinter ihm verdunkelte sich der Himmel. Er wirkte fast abgelenkt, so als lausche er auf etwas, das ich nicht hören konnte.
    Dann sah er mich an, und ich erinnere mich nur noch an seineAugen, sie schienen weit entfernt und erfüllt von einer furchtbaren Macht, leidenschaftslos und kalt.
    Er sah mich an. Sein Mund bewegte sich. Er rief den Wind.
    Wie ein Blatt von einem Blitz – so erbebte ich. Und der Donnerschlag war Schwärze.

    Das nächste, woran ich mich erinnere, ist, dass Ben mir wieder auf die Beine half. Ich hatte vage mitbekommen, dass die anderen Wagen gehalten hatten und neugierige Gesichter zu uns hinüberspähten. Meine Mutter kam herbei, und Ben ging ihr entgegen, lachte und sagte irgendetwas Beruhigendes. Ich verstand nicht, was sie miteinander sprachen, denn ich konzentrierte mich einzig und allein darauf, tief ein- und auszuatmen.
    Die anderen fuhren schließlich weiter, und ich folgte Ben schweigend zu seinem Wagen. Er tat, als müsste er nun die Taue überprüfen, die die Dachplane hielten. Wieder etwas bei Sinnen, half ich ihm dabei, so gut ich konnte. Der letzte Wagen der Truppe überholte uns.
    Als ich den Blick hob, sah Ben mich wütend an. »Was hast du dir dabei gedacht?«, zischte er. »Na? Was hast du dir dabei gedacht?« So hatte ich ihn noch nie gesehen. Er bebte vor Wut. Er holte aus, um mich zu schlagen … und hielt inne. Dann ließ er die Hand wieder sinken.
    Er überprüfte auch noch die letzten Taue und stieg wieder auf den Wagen. Da ich nicht wusste, was ich sonst hätte tun sollen, folgte ich ihm.
    Ben ergriff die Zügel, und Alpha und Beta setzten den Wagen in Bewegung. Wir waren jetzt die Letzten. Ben sah stur geradeaus. Ich betastete meine zerrissene Hemdbrust. Zwischen uns herrschte angespanntes Schweigen.
    Im Nachhinein betrachtet, war es unfassbar dumm, was ich da getan hatte. Als ich den Atem in meiner Lunge mit der Außenluft verband, machte mir das das Atmen unmöglich. Meine Lunge war nicht stark genug, um so viel Luft zu bewegen. Dafür hätte ich eineBrust wie einen eisernen Blasebalg gebraucht. Ich hätte genauso gut versuchen können, einen Fluss auszutrinken oder einen Berg in die Höhe zu heben.
    Wir fuhren gut zwei Stunden lang in diesem beklommenen Schweigen weiter. Die Sonne berührte schon die Baumwipfel, als Ben schließlich tief Luft holte und dann in einem lauten Seufzer ausatmete. Er gab mir die Zügel.
    Als ich mich zu ihm umsah, wurde mir zum ersten Mal bewusst, wie alt er war. Ich hatte zwar immer gewusst, dass er wohl auf die sechzig zuging, hatte ihm das bisher aber nie angesehen.
    »Ich habe deine Mutter vorhin angelogen, Kvothe. Sie hat nur gesehen, was ganz zum Schluss geschah, und hat sich Sorgen um dich gemacht.« Während er sprach, wich sein Blick nicht von dem Wagen vor uns. »Ich habe ihr gesagt, dass wir etwas für eine Vorführung einstudieren. Sie ist eine gute Frau. Sie hat es nicht verdient, angelogen zu werden.«
    Wir fuhren in peinigendem Schweigen weiter. Eine ganze Weile vor Sonnenuntergang erschollen vor uns in der Kolonne plötzlich »Graustein!«-Rufe. Unser Wagen bog ruckelnd aufs Gras am Straßenrand, und das rüttelte Ben aus seinen tiefen Grübeleien.
    Er blickte sich um und sah, dass die Sonne noch am Himmel stand. »Warum halten wir so früh? Liegt ein Baum auf der Straße?«
    »Graustein.« Ich wies auf den großen Stein, der über den Wagen vor uns aufragte.
    »Was?«
    »Hin und wieder kommen wir auf der Straße an einem vorbei.« Ich zeigte wieder auf den Graustein, der hinter kleineren Bäumen am Straßenrand aufragte. Wie die meisten Grausteine war es ein grob behauener Quader von etwa vier Meter Höhe. Die Wagen, die sich ringsherum versammelten, wirkten neben der Masse des Steins ziemlich zerbrechlich. »Ich habe auch schon gehört, dass sie stehende Steine genannt werden, aber andererseits habe ich schon viele gesehen, die gar nicht standen, sondern auf der Seite lagen. Wenn wir zu so einem Stein kommen, schlagen wir dort immer unser Nachtlager auf, es sei denn, wir haben es sehr eilig.« Ich verstummte, da ich merkte, dass ich ins Plappern geriet.
    »Ich kenne sie unter einem anderen Namen. Wegsteine«, sagte

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