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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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habe so einen vor Jahren mal in einem Kuriositätenkabinett gesehen.« Sie sah zu meinem Vater empor, der immer noch vor sich hin murmelte. »Den Magneteisenstein haben wir in Peleresin gesehen, nicht wahr?«
    »Hm? Wie bitte?« Die Frage riss ihn aus seinen Gedanken. »Ja. In Peleresin.« Er zupfte sich wieder die Unterlippe und runzelte die Stirn. »Merk dir eines, mein Sohn, wenn du auch alles andere vergisst. Ein Dichter ist ein Musiker, der nicht singen kann. Worte müssen in den Geist eines Menschen dringen, ehe sie sein Herz rühren können, und der Geist mancher Menschen ist eine elend kleine Zielscheibe. Musik aber rührt das Herz direkt, ganz egal, wie klein oder widerspenstig der Geist des Menschen ist, der ihr lauscht.«
    Meine Mutter schnaubte auf nicht ganz damenhafte Weise. »Elitärer Quatsch. Du wirst doch bloß alt.«
    Mein Vater blies sich zu einer Pose der Entrüstung auf, doch meine Mutter beachtete ihn gar nicht und sagte zu mir: »Und außerdem ist die einzige Tradition, die fahrende Schauspieler bei Grausteinen halten lässt, die Faulheit. Das Gedicht müsste eigentlich lauten:
    Wann immer im Jahre
    Ich übers Land fahre,
    Such ich einen Grund,
    Magnet- oder Raststein,
    Dass rasten ich kunnt.
    Mein Vater hatte ein dunkles Glimmen in den Augen, als er sich wieder hinter sie setzte. »Alt?«, sagte er leise und begann wieder ihre Schultern zu massieren. »Weib, ich hätte nicht übel Lust, dir zu beweisen, wie sehr du dich irrst.«
    Sie lächelte. »Und ich hätte nicht übel Lust, dich nicht daran zu hindern.«
    Ich beschloss, sie alleinzulassen, und wollte gerade zu Bens Wagen zurücklaufen, als mein Vater mir nachrief: »Tonleitern morgen nach dem Mittagessen? Und Tinbertin , zweiter Akt?«
    »Okay.«
    Als ich zu Ben zurückkam, hatte er Alpha und Beta schon ausgespannt und striegelte sie. Ich bereitete das Lagerfeuer vor, schichtete über trockenem Laub pyramidenförmig Zweige und Äste auf. Als ich damit fertig war, sah ich mich nach der Stelle um, an der Ben saß.
    Wieder Schweigen. Ich konnte förmlich sehen, wie er die Worte wählte. »Was weißt du über das neue Lied deines Vaters?«
    »Das über Lanre?«, fragte ich. »Nicht viel. Du weißt ja, wie er ist. Solange es nicht fertig ist, bekommt es keiner zu hören. Nicht mal ich.«
    »Ich meine eigentlich nicht das Lied selbst«, sagte Ben. »Ich meine die Geschichte dahinter. Lanres Geschichte.«
    Ich dachte an die Dutzende von Geschichten, die mein Vater im Laufe des vergangenen Jahres gesammelt hatte, und versuchte sie grob zusammenzufassen. »Lanre war ein Prinz«, sagte ich. »Oder ein König. Jedenfalls eine bedeutende Persönlichkeit. Und er wollte mächtiger sein als jedermann sonst auf der Welt. Um der Macht willen verkaufte er seine Seele, aber dann ging irgendetwas schief, und anschließend wurde er dann glaube ich verrückt, oder er konnte nicht mehr schlafen, oder …« Ich verstummte, als ich sah, dass Ben den Kopf schüttelte.
    »Er hat seine Seele nicht verkauft«, sagte Ben. »Das ist Unsinn.« Er seufzte tief. »Ich habe das ganz falsch angefangen. Also, lassen wir das mit dem Lied deines Vaters. Wir werden darüber sprechen, wenn es fertig ist.«
    Ben atmete tief durch und setzte neu an. »Stell dir einmal vor, du hast da einen leichtsinnigen sechsjährigen Jungen. Was für einen Schaden könnte der anrichten?«
    Ich zögerte, da ich nicht wusste, was für eine Antwort er darauf erwartete. Eine freimütige war wahrscheinlich am besten. »Keinen allzu großen.«
    »Und nehmen wir mal an, er ist jetzt zwanzig Jahre alt und immer noch leichtsinnig. Wie gefährlich ist er?«
    Ich beschloss, mich an die naheliegenden Antworten zu halten. »Immer noch nicht sonderlich, aber schon gefährlicher als zuvor.«
    »Und was wäre, wenn du ihm ein Schwert gäbest?«
    Mir begann etwas zu dämmern, und ich schloss die Augen. »Dann wäre er sehr viel gefährlicher. Ich verstehe, worauf du hinauswillst, Ben. Ich verstehe es wirklich. Macht an sich ist nichts Schlimmes, und Dummheit ist normalerweise harmlos. Macht und Dummheit zusammen aber – das ist gefährlich.«
    »Von Dummheit habe ich nicht gesprochen«, berichtigte mich Ben. »Du bist klug. Das wissen wir beide. Aber auch du kannst gedankenlos sein. Und ein kluger, aber leichtsinniger Mensch ist etwas ausgesprochen Beängstigendes. Und was noch schlimmer ist: Ich habe dir ein paar gefährliche Dinge beigebracht.«
    Ben betrachtete das Lagerfeuer, das ich aufgeschichtet

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