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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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E’lir.«
    Dann begann er Alpha und Beta anzubrüllen, immer ein Zeichen, dass er bester Laune war. Sie nahmen es wie stets gelassen, obwohl er ihnen Dinge vorhielt, die sicherlich kein Esel je freiwillig getan hat, schon gar nicht Beta, die über einen tadellos sittsamen Charakter verfügte.
    Mitten in der Schimpfkanonade hielt er inne und fragte: »Wie würdest du diesen Vogel vom Himmel holen?« Er wies auf einen Habicht, der über einem Weizenfeld seine Runden zog.
    »Wahrscheinlich gar nicht. Er hat mir nichts getan.«
    »Theoretisch.«
    »Theoretisch würde ich ihn nicht vom Himmel holen.«
    Ben lachte leise. »Schon verstanden, E’lir. Und wie genau würdest du es nicht tun? Einzelheiten, bitte.«
    »Ich würde Teren bitten, ihn abzuschießen.«
    Ben nickte nachdenklich. »Gut, gut. Es ist jedoch eine Angelegenheit zwischen dir und diesem Vogel. Dieser Habicht« – er zeigte indigniert auf das Tier – »hat sich in unflätiger Weise über deine Mutter geäußert.«
    »Oh. Dann verlangt meine Ehre, dass ich persönlich ihren guten Namen verteidige.«
    »Allerdings.«
    »Habe ich eine Feder?«
    »Nein.«
    »Tehlu soll –« Auf seinen missbilligenden Blick hin verkniff ich mir den Rest dessen, was ich sagen wollte. »Du machst es mir aber auch nie leicht, oder?«
    »Das ist eine ärgerliche Angewohnheit, die ich mir von einem Schüler abgeschaut habe, der klüger war, als ihm gut tat.« Er lächelte. »Was könntest du denn tun, wenn du eine Feder hättest?«
    »Ich könnte sie mit dem Vogel verbinden und sie einseifen.«
    Ben runzelte die Stirn. »Was für eine Art von Verbindung?«
    »Eine chemische. Wahrscheinlich die zweite katalytische.«
    Nachdenkliches Schweigen. »Die zweite katalytische.« Er kratzte sich am Kinn. »Um das Fett aufzulösen, das der Feder Geschmeidigkeit verleiht?«
    Ich nickte.
    Er sah zu dem Vogel empor. »Auf die Idee bin ich noch gar nicht gekommen«, sagte er mit gelinder Bewunderung. Ich fasste das als Kompliment auf.
    »Nun, wie dem auch sei.« Er sah mich wieder an. »Du hast aber keine Feder. Wie holst du den Habicht vom Himmel?«
    Ich dachte einige Minuten lang nach, aber mir fiel nichtsein. Schließlich beschloss ich, gewissermaßen den Spieß umzudrehen.
    »Ich würde«, sagte ich ganz beiläufig, »einfach den Wind rufen, und der würde den Habicht dann vom Himmel herabschleudern.«
    Ben warf mir einen prüfenden Blick zu, der mir verriet, dass er ganz genau wusste, was ich im Schilde führte. »Und wie würdest du das tun, E’lir?«
    Ich spürte, dass er womöglich bereit war, mir das Geheimnis zu offenbaren, das er mir den ganzen Winter über nicht verraten hatte. Und im gleichen Moment kam mir eine Idee.
    Ich atmete tief ein und sprach die Worte, die die Luft in meiner Lunge mit der Luft außerhalb verbanden. Ich konzentrierte mich auf das Alar, legte Daumen und Zeigefinger vor meine geschürzten Lippen und blies hindurch.
    Von hinten kam ein leichter Windstoß, der mir die Haare zauste und die Plane des Wagens einen Moment lang straffte. Das konnte auch Zufall gewesen sein, aber dennoch spürte ich, wie sich ein frohlockendes Lächeln auf meinem Gesicht breitmachte. Einen kurzen Moment lang grinste ich Ben wie irre an, und er blickte nur ungläubig.
    Dann presste mir irgendetwas die Brust zusammen, so als wäre ich tief unter Wasser. Ich versuchte einzuatmen, aber es ging nicht. Leicht verwirrt versuchte ich es weiter. Es war ein Gefühl, als wäre ich gerade mit voller Wucht auf den Rücken geknallt und hätte keine Luft mehr in der Lunge. Plötzlich wurde mir klar, was ich getan hatte. Ich brach am ganzen Leib in kalten Schweiß aus, zerrte verzweifelt an Bens Hemd und zeigte auf meine Brust, meinen Hals, meinen offenstehenden Mund.
    Ben blickte mich entsetzt an, alle Farbe wich ihm aus dem Gesicht.
    Dann bemerkte ich, wie still es war. Kein Grashalm schien sich zu bewegen. Selbst das Wagengeräusch wirkte gedämpft, wie aus weiter Ferne. Panische Angst packte mich, schob alle Gedanken beiseite. Ich begann meine Kehle zu kratzen, riss mir das Hemd auf. Mein donnernder Herzschlag übertönte das Klingen in meinen Ohren. Ich rang nach Luft, und dabei fuhren mir stechende Schmerzen durch die Brust.
    Schneller als ich ihn je gesehen hatte, packte mich Ben bei den Fetzen meines Hemds und sprang vom Kutschbock. Er landete im Gras am Straßenrand und schleuderte mich mit einer Wucht zu Boden, die mir in jedem anderen Fall die letzte Luft aus der Lunge getrieben

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