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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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die andere war eine Fratze mit spitzen weißen Zähnen. Beide trugen sie den traditionellen schwarzen Kapuzenumhang, was ich zu schätzen wusste. In Waterside gab es kaum Dämonen, die sich um ein anständiges Kostüm scherten.  
    Die beiden Dämonen huschten hervor und folgten einem fein gekleideten Pärchen, das Arm in Arm die Straße hinabschlenderte. Sie pirschten sich heran, und dann entriss einer dem Mann den Hut und warf ihn auf eine Schneewehe. Der andere packte die Frau und hob sie empor. Sie kreischte, und der Mann rang derweil mit dem anderen Dämon um seinen Spazierstock, von der ganzen Situation offensichtlich aus dem Konzept gebracht.
    Glücklicherweise wahrte seine Frau die Fassung. »Tehus! Tehus!«, rief sie. »Tehus antausa eha!«
    Als sie Tehlus Namen hörten, duckten sich die beiden rot maskierten Gestalten ängstlich und liefen davon.
    Allgemeiner Jubel. Ein Ladeninhaber half dem Mann, seines Huts wieder habhaft zu werden. Ich war erstaunt, wie zivilisiert das alles ablief. Offenbar waren in diesem Teil der Stadt sogar die Dämonen höflich.
    Von dem soeben Gesehenen ermutigt, musterte ich die Passanten. Ich trat an eine junge Frau heran. Sie trug ein taubenblaues Kleid und einen weißen Pelzumhang. Langes, goldfarbenes Haar lockte sich kunstvoll rings um ihr Gesicht.
    Als ich vortrat, sah sie zu mir hinab und blieb stehen. Ich hörte bestürztes Einatmen, und sie hielt sich eine Hand vor den Mund. »Ein bisschen Kleingeld, Ma’am?« Ich streckte die Hand aus und ließ sie ein wenig zittern. Auch meine Stimme bebte. »Bitte.« Ich gab mir alle Mühe, genauso klein und verzweifelt auszusehen, wie ich mich fühlte. Auf der dünnen Schneedecke trat ich von einem Fuß auf den anderen.
    »Du armer Kleiner«, seufzte sie so leise, dass ich es kaum verstand. Sie nestelte an ihrer Handtasche herum, entweder nicht fähig oder nicht willens, den Blick von mir zu lösen. Dann holte sie etwas daraus hervor. Als sie meine Finger darum schloss, spürte ich das kühle, beruhigende Gewicht einer Münze.
    »Vielen Dank, Ma’am«, sagte ich ganz automatisch. Ich blickte kurz hin und sah etwas Silbernes zwischen meinen Fingern glänzen. Ich öffnete die Hand und sah einen Silberpenny. Einen ganzen Silberpenny.
    Ich starrte die Münze mit offenem Mund an. Ein Silberpenny war zehn Kupfer- oder fünfzig Eisenpennys wert. Dafür konnte man sich einen halben Monat lang allabendlich den Bauch vollschlagen. Für einen Eisenpenny durfte ich im Red Eye eine Nacht lang auf dem Fußboden schlafen, für zwei am Kamin. Und noch dazu konnte ich mir für mein Versteck auf den Dächern eine Decke kaufen, die mich den ganzen Winter warm halten würde.
    Ich blickte zu der Frau empor, die mich immer noch mit mitleidsvollem Blick betrachtete. Sie konnte nicht wissen, was das für mich bedeutete. »Vielen, vielen Dank.« Mir versagte die Stimme. Und mir fiel eine Redensart ein, die wir bei der Truppe immer gebraucht hatten. »Tehlus Segen auf all Euren Wegen.«
    Sie schenkte mir ein Lächeln und hätte jetzt wohl etwas gesagt, doch ich spürte ein merkwürdiges Gefühl im Nacken. Jemand beobachtete mich. Wenn man auf der Straße lebt, entwickelt man entweder einen siebten Sinn für gewisse Dinge, oder man nimmt ein schnelles und klägliches Ende.
    Ich blickte mich um und sah einen Ladenbesitzer, der mit einem Wachmann sprach und dabei in meine Richtung deutete. Der Wachmann war von anderem Schrot und Korn als die in Waterside. Er war glatt rasiert und hielt sich aufrecht. Er trug einen schwarzen Lederwams und hielt einen armlangen Schlagstock in der Hand. Ich erhaschte ein paar Fetzen von dem, was der Händler sagte.
    »… Kundschaft. Wer kauft denn noch Schokolade, wenn …« Er zeigte wieder in meine Richtung und sagte etwas, das ich nicht verstand. »… bezahlt euch denn schließlich? Ja, genau. Vielleicht sollte ich noch erwähnen …«
    Der Wachmann drehte sich zu mir um. Er sah mir in die Augen. Ich machte kehrt und rannte davon.
    Ich lief in die erstbeste Gasse. Mit meinen dünnen Schuhen rutschte ich immer wieder auf der feinen Schneeschicht aus. Als ich in eine zweite Gasse abbog, hörte ich hinter mir das Stampfen schwerer Stiefel.
    Der Atem brannte mir in der Brust, und hektisch sah ich mich nach einem Versteck um. Doch ich kannte mich in diesem Teil der Stadt nicht aus. Hier türmten sich keine Abfallhaufen, in denen man sich hätte verbergen können, und hier standen auch keine ausgebrannten Ruinen, in die man

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