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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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Wintersonnwendfeierlichkeiten waren die Straßen noch gefährlicher als ohnehin schon.
    Das war für mich ein Schock. Mein ganzes junges Leben hindurch hatte unsere Truppe jedes Jahr für irgendeine Stadt das Fest der Wintersonnwende, das Julfest ausgerichtet. Mit Dämonenmasken verkleidet, versetzten wir die Leute sieben Tage lang zum allgemeinen Ergötzen in Angst und Schrecken. Mein Vater spielte den Encanis so überzeugend, dass man hätte meinen können, wir hätten ihn heraufbeschworen. Doch vor allem konnte er gleichzeitig Furcht einflößend und vorsichtig sein. Niemand kam je zu Schaden, wenn unsere Truppe das Fest ausrichtete.
    In Tarbean aber sah das anders aus. Oh, der äußere Ablauf war der gleiche. Auch hier schlichen Männer mit grellbunten Dämonenmasken durch die Stadt und trieben Schabernack. Auch hier ging Encanis um, in der traditionellen schwarzen Maske. Und zweifellos – auch wenn ich ihn noch nicht gesehen hatte – schlich auch der silbern maskierte Tehlu durch die besseren Viertel der Stadt und spielte seine Rolle. Die äußeren Umstände glichen sich also.
    Doch dann fingen die Unterschiede an. Zum einen war Tarbean zu groß, als dass eine Truppe allein dort genug Dämonen hätte aufbieten können. Hundert Truppen hätten nicht ausgereicht. Und daher wählten die Kirchen, statt Fachpersonal zu engagieren, wie es vernünftig gewesen wäre, den einträglicheren Weg, selbst Dämonenmasken zum Kauf anzubieten.
    Und so wurden am ersten Tag des High Mourning zehntausend Dämonen auf die Stadt losgelassen. Zehntausend Amateur -Dämonen, mit der Erlaubnis, jeden Unfug zu treiben, der ihnen nur in den Sinn kam.
    Das mag als ideale Situation für einen jungen Dieb erscheinen, doch das Gegenteil war der Fall. Denn während sich die Mehrheit der Dämonen anständig verhielt, das Weite suchte, wenn sie Tehlus Namen hörte, und den eigenen Teufeleien gewisse Grenzen setzte, taten einige das Gegenteil. In den ersten Tagen des High Mourning lebte man gefährlich, und die meiste Zeit verbrachte ich damit, Gefahren aus dem Weg zu gehen.
    Doch als der Mittwinter näher rückte, entspannte sich die Lage. Die Zahl der Dämonen nahm beständig ab, da die Leute ihre Masken verloren hatten oder des Spiels überdrüssig wurden. Auch schaltete Tehlu sicherlich viele von ihnen aus, doch Silbermaske hin oder her – er war ganz auf sich allein gestellt. Er konnte sich in nur sieben Tagen nicht um ganz Tarbean kümmern.
    Ich wählte den letzten Tag des High Mourning für meinen Ausflug nach Hillside. An Mittwinter herrschte stets gute Laune, und gute Laune verhieß ertragreiches Betteln. Zudem hatten sich die Reihen der Dämonen merklich gelichtet, und es war wieder einigermaßen ungefährlich, auf die Straße hinauszugehen.
    Ich brach am frühen Nachmittag auf, hungrig, weil ich kein Brot zum Stehlen fand. Ich war aufgeregt, das weiß ich noch. Vielleicht erinnerte sich etwas in mir daran, wie die Wintersonnwendzeit mit meiner Familie immer gewesen war: warme Mahlzeiten und anschließend ein warmes Bett. Vielleicht ließ ich mich auch vom Duft der Tannenzweighaufen anstecken, die man zu Tehlus Ehren in Brand gesteckt hatte.
    An diesem Tag erfuhr ich zweierlei. Ich erfuhr, warum die Bettler in Waterside blieben. Und ich erfuhr, dass – was auch immer einem die Kirche zu diesem Thema erzählen mag – die Zeit der Wintersonnwende durchaus eine Zeit für Dämonen ist.

    Ich trat aus einer Gasse und war augenblicklich erstaunt, wie gänzlich anders die Atmosphäre in diesem Teil der Stadt war als in jenem, aus dem ich kam.
    In Waterside beschwatzten die Händler ihre potentielle Kundschaft in der Hoffnung, sie in ihre Läden locken zu können. Schlug das fehl, so scheuten sie nicht davor zurück, die Leute zu verwünschen oder gar zu schikanieren.
    Hier hingegen rangen die Ladenbesitzer nervös die Hände, verneigten sich, machten Kratzfüße und waren stets die Höflichkeit in Person. Niemand wurde hier laut oder ausfallend. Nach der brutalen Realität in Waterside kam ich mir vor, als hätte es mich auf einen Ball verschlagen. Jedermann trug Kleidung, die ordentlich und neu war. Alle waren frisch gewaschen und schienen an einem ausgeklügelten Gesellschaftstanz teilzunehmen.
    Doch auch hier gab es dunkle Seiten. Als ich die Straße hinabsah, entdeckte ich zwei Männer, die in der Gasse gegenüber auf der Lauer lagen. Ihre Masken waren recht gut, blutrot und grimmig. Die eine hatte ein weit aufgerissenes Maul, und

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