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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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ältere Mädchen gab mir einen kleinen Geldbeutel. Ich umklammerte ihn so fest, dass mir die verfrorenen Finger wehtaten.
    Sie sah mich an. »Wenn du willst, kannst du dich ein wenig am Ofen aufwärmen.«
    Das jüngere Mädchen nickte beflissen. »Nattie hat bestimmt nichts dagegen.« Sie trat einen Schritt auf mich zu und wollte mich beim Arm nehmen.
    Ich riss den Arm zurück und wäre dabei fast umgekippt. »Nein!« Ich wollte schreien, doch es kam nur ein mattes Krächzen. »Fass mich nicht an.« Mir bebte die Stimme, aber ich hätte nicht sagen können, ob vor Ärger oder Angst. Ich strauchelte an der Mauer entlang fort. »Ich komme schon klar.«
    Das jüngere Mädchen brach in Tränen aus.
    »Ich habe einen Ort, wo ich hin kann.« Meine Stimme versagte, und ich wandte mich ab. Ich ging so schnell ich konnte davon. Ich wusste nicht, wovor ich weglief, es sei denn vor den Menschen im Allgemeinen. Das war auch so eine Lektion, die ich vielleicht allzu gut gelernt hatte: Menschen bereiteten Schmerzen. Hinter mir hörte ich gedämpfte Schluchzer. Es schien sehr lange zu dauern, bis ich bei der nächsten Ecke ankam.
    Ich schaffte es bis zu meinem Versteck, wo sich die Dächer zweier Häuser unter dem Überhang eines dritten Dachs trafen. Ich weiß nicht, wie es mir gelang, hinaufzuklettern.
    In der Decke befand sich eine Flasche Wein, ein frischgebackenes Brot und eine ganze gebratene Putenbrust, größer als meine beiden Fäuste. Ich wickelte mich in die Decke und schützte mich vor dem Wind, während der Schnee in Schneeregen überging. Die Ziegelsteine des Schornsteins in meinem Rücken waren wohlig warm.
    Beim ersten Schluck Wein brannte mein Mund an den verletzten Stellen wie Feuer. Beim zweiten war es schon gar nicht mehr so schlimm. Das Brot war weich und die Putenbrust noch warm.
    Ich erwachte um Mitternacht, als die Glocken der Stadt zu läuten begannen. Die Leute liefen johlend auf die Straßen. Die sieben Tage des High Mourning lagen hinter uns. Die Wintersonnwende war vorüber. Ein neues Jahr hatte begonnen.

Kapitel 23
    Das brennende Rad

    D ie Nacht über blieb ich in meinem Versteck. Als ich am nächsten Tag spät erwachte, hatte sich mein ganzer Leib in einen einzigen Knoten aus Schmerz zusammengekrümmt. Da ich immer noch etwas zu essen und auch noch ein wenig Wein hatte, blieb ich, wo ich war, statt bei dem Versuch, auf die Straße hinabzuklettern, einen Sturz zu riskieren.
    Es war ein trüber Tag, und ein kalter Wind wehte Graupelschauer unter das überhängende Dach. Der Schornstein wärmte mir zwar den Rücken, war aber nicht warm genug, um die Decke oder meine immer noch klammen Kleider zu trocknen.
    Bald schon hatte ich den Wein ausgetrunken und das Brot aufgegessen, und nun nagte ich die Putenknochen ab und versuchte, in der Weinflasche Schnee zu schmelzen, damit ich ihn trinken konnte. Weder das eine noch das andere erwies sich als sonderlich ergiebig, und schließlich aß ich einige Mund voll Schneematsch, was mich zittern machte und Teergeschmack im Mund hinterließ.
    Trotz meiner Verletzungen schlief ich am Nachmittag wieder ein und erwachte erst spätnachts, erfüllt von wunderbarer, wohliger Wärme. Ich schob die Decke weg und rutschte von dem nun zu heißen Schornstein fort, nur um im Morgengrauen schlotternd, völlig durchnässt und benebelt zu erwachen. Ich schmiegte mich wieder an den Schornstein, und den ganzen Tag über erwachte ich immer wieder aus unruhigem, fiebrigem Schlaf, nur, um bald wieder darin zu versinken.
    Ich weiß nicht, wie es mir gelang, von dem Dach herunterzukommen – in Fieberfantasien verloren und wie gelähmt. Ich erinneremich auch nicht daran, wie ich die Dreiviertelmeile durch Tallows und Crates zurücklegte. Ich weiß nur noch, wie ich die Treppe zu Trapis’ Keller hinabstürzte, den Geldbeutel fest umklammert. Als ich dort zitternd und schwitzend lag, hörte ich in der Ferne seine Füße über den Steinboden schlappen.
    »Was denn, was denn«, sagte er zärtlich, als er mich aufhob. »Ist ja gut.«
    Trapis pflegte mich mein ganzes Fieber hindurch. Er wickelte mich in Decken und fütterte mich, und als das Fieber nicht von allein nachließ, kaufte er von dem Geld, das ich mitgebracht hatte, eine bittersüße Arznei. Er befeuchtete mir Gesicht und Hände und murmelte sein geduldiges »Was denn, was denn. Wird schon, wird schon«, wenn ich in nicht enden wollenden Fieberträumen aufschrie, die um meine toten Eltern, die Chandrian und einen Mann mit leerem

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