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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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Blick kreisten.

    Ich erwachte mit klarem, kühlem Kopf.
    »Ächichtäää!«, rief Tanee aus dem Bett, in dem er festgeschnallt war.
    »Was denn, was denn. Wird schon, wird schon, Tanee«, sagte Trapis, setzte eins der Kleinkinder ab und nahm das andere auf den Arm. Das Kind sah sich eulenhaft um, mit großen, dunklen Augen, war aber offenbar nicht in der Lage, seinen Kopf selbst zu stützen. Es war still im Zimmer.
    »Ääächichtäää«, sagte Tanee noch einmal.
    Ich hustete, versuchte mich zu räuspern.
    »Neben dir auf dem Fußboden steht eine Tasse«, sagte Trapis und strich dem Kleinkind, das er auf dem Arm hielt, mit einer Hand über den Kopf.
    »ÄÄÄCHICHTÄÄÄH HÖÖRÄÄHH!«, brüllte Tanee, von einem seltsamen Keuchen unterbrochen. Der Lärm schreckte etliche andere auf, die sich unruhig in ihren Betten hin und her bewegten. Der ältere Junge, der in der Ecke saß, hielt sich mit beiden Händen die Schläfen und fing an zu stöhnen. Er begann, vor und zurück zuschaukeln, erst langsam, dann immer wilder, so dass er schließlich mit dem Kopf an die nackte Mauer prallte.
    Trapis war bei ihm, ehe er sich etwas antun konnte. Er nahm ihn in den Arm. »Ganz ruhig, Loni, ganz ruhig.« Der Junge schaukelte langsamer, ohne aber ganz damit aufzuhören. »Tanee, du weißt doch, dass du nicht so einen Krach machen sollst.« Sein Tonfall war ernst, aber nicht streng. »Warum machst du das? Loni könnte sich wehtun.«
    »Ächichtä«, sagte Tanee leise. Ich meinte ihm leichte Gewissensbisse anzuhören.
    »Ich glaube, er will eine Geschichte hören«, sagte ich und überraschte mich selbst damit, dass ich überhaupt sprach.
    »Aaaa«, sagte Tanee.
    »Willst du das, Tanee?«
    »Aaaa.«
    Kurzes Schweigen. »Ich weiß aber keine Geschichten«, sagte Trapis schließlich.
    Tanee schwieg hartnäckig.
    Jeder kennt doch eine Geschichte , dachte ich. Jeder kennt doch mindestens eine Geschichte .
    »Ächichtää!«
    Trapis sah sich im Zimmer um, so als suche er nach einer Ausflucht. »Nun ja«, sagte er widerstrebend. »Es ist schon eine Weile her, dass hier mal jemand eine Geschichte erzählt hat, nicht wahr?« Er sah zu dem Jungen hinab, den er in den Armen hielt. »Möchtest du auch gerne eine Geschichte hören, Loni?«
    Loni nickte so heftig, dass er mit dem Hinterkopf beinahe Trapis’ Wange gerammt hätte.
    »Bist du so lieb und sitzt still, damit ich eine Geschichte erzählen kann?«
    Loni hielt augenblicklich inne. Trapis löste langsam seinen Griff. Nachdem er sich mit einem langen Blick vergewissert hatte, dass der Junge nicht weiterschaukelte, ging er vorsichtig zu seinem Stuhl zurück.
    »Nun denn«, murmelte er und bückte sich, um das Kleinkind wieder auf den Arm zu nehmen. »Weiß ich denn eine Geschichte?«,fragte er ganz leise den Kleinen, der ihn mit großen Augen ansah. »Nein. Nein, ich weiß keine. Fällt mir denn noch eine ein?«
    Er saß dort eine ganze Weile und summte dem Kind auf seinem Arm mit nachdenklicher Miene etwas vor. »Ja, natürlich.« Er setzte sich aufrechter hin. »Seid ihr bereit?«

    Diese Geschichte spielt vor langer Zeit. Lange bevor einer von uns auf die Welt kam. Lange auch vor der Geburt unserer Väter. Vor langer, langer Zeit. Vielleicht – vielleicht vor vierhundert Jahren. Nein, es ist noch länger her. Wahrscheinlich tausend Jahre. Aber vielleicht auch nicht ganz so lange.
    Es war damals eine schlimme Zeit. Die Menschen hungerten und waren krank. Es herrschten Hungersnöte und Seuchen. Damals wüteten viele Kriege und andere schlimme Sachen, denn es gab niemanden, der dem Einhalt geboten hätte.
    Das Schlimmste aber war, dass damals Dämonen ihr Unwesen trieben. Manche von ihnen waren klein und lästig, Wesen, die machten, dass Pferde lahmten oder Milch sauer wurde. Aber viele waren schlimmer.
    Es gab Dämonen, die sich im Körper eines Menschen versteckten und ihn krank oder wahnsinnig machten, aber das waren noch nicht die Schlimmsten. Es gab Dämonen wie große Raubtiere, die Menschen jagten und dann bei lebendigem Leibe auffraßen, aber auch das waren noch nicht die Schlimmsten. Es gab Dämonen, die den Menschen die Haut abzogen und sie wie ein Kleid trugen, aber selbst die waren noch nicht die Schlimmsten.
    Es gab einen Dämon, der über allen anderen stand. Encanis, die verschlingende Finsternis. Wohin er auch ging, verbargen Schatten sein Gesicht, und stach ihn ein Skorpion, so ging der an der Verderbtheit, mit der er dabei in Berührung kam, zu Grunde.
    Tehlu, der

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