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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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Pflaster der Stadt laufen, ohne es auch nur zu spüren.
    Ich lernte, von niemandem Hilfe zu erwarten. In den schlechten Gegenden von Tarbean lockte ein Hilferuf räuberische Gestalten an, so als läge Blutgeruch in der Luft.

    Einmal erwachte ich in meinem geheimen Dachversteck von rauem Gelächter und Fußgetrappel in der Gasse unter mir.
    Die Schritte hielten an, und auf das Geräusch reißender Kleider folgte weiteres Gelächter. Ich schlich mich an den Rand des Dachs und sah hinab. Fünf oder sechs große Jungen, fast schon junge Männer, waren zu sehen. Sie waren wie ich in dreckige Lumpen gekleidet. Wie dunkle Schemen huschten sie im Dämmerlicht umher. Ihr schweres Atmen nach dem Lauf hallte zu mir herauf.
    Ihre Jagdbeute stand mitten auf der Gasse: ein kleiner Junge, höchstens acht Jahre alt. Einer der Älteren hielt ihn fest. Die nackte Haut des Kleinen schimmerte im Mondschein. Dann hörte ich wieder Kleider reißen, und der Junge gab einen leisen Schrei von sich, gefolgt von einem erstickten Schluchzer.
    Die anderen sahen zu und sprachen leise und eindringlich miteinander, ein gieriges Grinsen auf dem Gesicht.
    Ich war auch schon ein paar Mal nachts gejagt worden. Und einige Monate zuvor hatten sie mich auch einmal gekriegt. Ich sah weiter hinab, und zu meinem Erstaunen hatte ich mit einem Mal einen schweren Dachziegel in der Hand, bereit zum Wurf.
    Doch dann hielt ich inne und sah mich zu meinem Versteck um. Ich hatte dort eine Decke und ein halbes Brot. Mein Notgroschen war dort versteckt, acht Eisenpenny. Und das Wertvollste, was ich besaß: Bens Buch. Ich war dort in Sicherheit. Selbst wenn ich einen der Jungen mit dem Ziegel getroffen hätte, wären die anderen zwei Minuten später bei mir auf dem Dach gewesen. Und selbst wenn ich ihnen entkommen wäre, hätte ich anschließend keine Zuflucht mehr gehabt.
    Ich legte den Ziegel wieder hin und kroch zurück in das, was meine Heimstatt geworden war. Ich klammerte mich an meine Decke, biss die Zähne zusammen und mühte mich, das Stimmengemurmel von unten, das ab und an von derbem Gelächter und verzweifelten Schluchzern unterbrochen wurde, nicht mehr in mein Bewusstsein dringen zu lassen.

Kapitel 25
    Zwischenspiel: Nachgefragt

    K vothe hieß den Chronisten mit einer Geste die Feder absetzen und streckte sich. »Es ist lange her, dass ich das letzte Mal daran gedacht habe«, sagte er. »Wenn Ihr herausfinden wollt, weshalb ich der Kvothe wurde, über den man sich Geschichten erzählt, solltet Ihr hierauf Euer Augenmerk richten.«
    Der Chronist runzelte die Stirn. »Wie meint Ihr das?«
    Kvothe schwieg einen Moment lang und blickte dabei auf seine Hände. »Wisst Ihr, wie oft man mich im Laufe meines Lebens zusammengeschlagen hat?«
    Der Chronist schüttelte den Kopf.
    Kvothe hob den Blick und zuckte unbekümmert die Achseln. »Ich weiß es auch nicht. Man sollte ja meinen, dass einem so etwas im Gedächtnis bleibt. Man sollte meinen, dass ich noch weiß, wie viele Knochen man mir gebrochen hat. Dass ich mich an die Wunden und die Verbände erinnere.« Er schüttelte den Kopf. »Aber ich erinnere mich nicht daran. Ich erinnere mich an den kleinen Jungen, der dort in der Dunkelheit schluchzte. Ich habe dieses Schluchzen noch heute, nach all den Jahren, klar und deutlich im Ohr.«
    Der Chronist runzelte wieder die Stirn. »Ihr sagt doch selbst, dass Ihr nichts tun konntet.«
    »Ich hätte durchaus etwas tun können«, sagte Kvothe, »und ich habe es nicht getan. Ich traf meine Wahl, und ich bereue es bis zum heutigen Tag. Knochen wachsen wieder zusammen. Aber diese Reue wird man ein Leben lang nicht mehr los.«
    Kvothe erhob sich. »Nun aber genug von Tarbeans dunkler Seite.« Er streckte sich, die Hände hoch erhoben.
    »Wieso, Reshi?«, platzte Bast hervor. »Wieso bist du dort geblieben, obwohl es so schrecklich war?«
    Kvothe nickte, als hätte er die Frage erwartet. »Wohin hätte ich denn gehen sollen, Bast? Alle Menschen, die ich kannte, waren tot.«
    »Nicht alle«, widersprach Bast. »Es gab noch Abenthy. Zu dem hättest du gehen können.«
    »Hallowfell war Hunderte Meilen entfernt, Bast«, sagte Kvothe und ging hinter den Tresen. »Hunderte Meilen – und ich hatte nicht einmal mehr die Landkarten meines Vaters. Hunderte Meilen – und das ohne einen Wagen, auf dem ich hätte fahren oder schlafen können. Ohne irgendwelche Hilfe, ohne Geld, ohne Schuhe. Es wäre vielleicht möglich gewesen. Aber nicht für ein Kind, das immer noch unter dem

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