Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
Vom Netzwerk:
normalerweise nur gegen Geld, und meine hart erarbeiteten Pennys waren mir zu schade, um sie darauf zu verwenden.
    Es gab da jedoch ein Problem. Ich war in Dockside nicht sicher.
    Ich sollte das erklären. Im Jahr zuvor hatte ich Pike auf der Straße gesehen. Es war das erste Mal, dass ich ihn wieder sah, seit er damals mit seinen Freunden in jener Gasse über mich hergefallen war und die Laute meines Vaters zerstört hatte.
    Ich folgte ihm stundenlang. Gegen Abend ging er schließlich in eine kleine Sackgasse in Dockside, wo er ein Versteck hatte, das meinem ähnelte. Seins bestand aus einigen zerbrochenen Kisten, die er zusammengebastelt hatte, um sich darunter vor Wind und Wetter zu schützen.
    Ich hockte die ganze Nacht oben auf dem Dach und wartete ab, bis er am nächsten Morgen wieder aufbrach. Dann stieg ich hinunter und sah mich unter seinen Kisten um. Sein Versteck war recht gemütlich. Er hatte dort eine Flasche Bier, die ich austrank, ein Stück Käse, das ich aß, und ein Hemd, das ich stahl, da es nicht ganz so zerlumpt war wie meins.
    Weiteres Suchen förderte noch allerlei Kleinigkeiten zu Tage: eine Kerze, ein Knäuel Bindfaden, einige Murmeln. Am meisten erstaunten mich einige Segeltuchfetzen mit Kohlezeichnungen eines Frauenantlitzes darauf. Und schließlich fand ich, worauf ich es eigentlich abgesehen hatte: eine abgegriffene Holzschachtel. Sie enthielt einen kleinen getrockneten Veilchenstrauß, ein beinahe kahles Spielzeugpferdchen und eine blonde Locke.
    Ich brauchte ein paar Minuten, bis ich mit einem Feuerstein ein Feuer entfacht hatte. Die Veilchen brannten wie Zunder, und bald stieg eine Rauchfahne auf. Ich stand dabei und sah zu, wie alles, was Pike lieb und teuer war, in Flammen aufging.
    Ich blieb jedoch zu lange, genoss den Augenblick zu sehr. Pike und ein Freund kamen, von dem Rauch angelockt, in die Sackgasse gerannt, und ich steckte in der Falle. Pike stürzte sich wütend auf mich. Er war einen halben Kopf größer und zwanzig Kilo schwerer als ich, doch schlimmer noch war, dass er eine Glasscherbe hatte, die an einem Ende mit Bindfaden umwickelt war, was ein primitives Messer ergab.
    Diese Klinge rammte er mir in den Oberschenkel. Mir gelang es aber, seine Hand aufs Kopfsteinpflaster zu knallen und die Glasscherbe damit zu zerschmettern. Anschließend schlug er mir noch ein blaues Auge und brach mir einige Rippen, bis ich ihm einen kräftigen Tritt in die Eier verpassen konnte und mich losriss. Ich stürmte davon, und er humpelte mir nach und schrie, er werde mich für das, was ich getan hatte, umbringen.
    Ich glaubte ihm. Nachdem ich mein Bein notdürftig verbunden hatte, nahm ich meine gesamten Ersparnisse und kaufte davon zweieinhalb Liter billigen Tresterschnaps, der so stark war, dass man davon Blasen im Mund bekam. Dann humpelte ich zurück nach Dockside, um abzuwarten, bis Pike und seine Freunde mich entdeckten.
    Es dauerte nicht lange. Ich ließ mich von ihm und zwei seiner Freunde eine halbe Meile weit verfolgen, an der Seamling Lane vorbei und dann in die Tallows. Ich blieb auf den Hauptstraßen, da ich wusste, dass sie nicht wagen würden, mich am helllichten Tage anzugreifen, wenn andere Leute zusahen.
    Als ich aber in eine schmale Seitenstraße lief, eilten sie mir hinterher, weil sie glaubten, ich würde versuchen zu entwischen. Als sie jedoch um die Ecke bogen, war dort niemand.
    Pike sah in eben dem Moment nach oben, als ich vom Rand des niedrigen Daches aus den Eimer mit dem Tresterschnaps über ihm ausleerte. Der Schnaps ergoss sich auf sein Gesicht und seine Brust, und er war pitschnass. Er schrie, hielt sich die Augen und ging in die Knie. Ich riss das Streichholz an, das ich irgendwo gestohlen hatte, ließ es auf ihn hinunterfallen und sah zu, wie es im Fallen aufflammte.
    Von blindem, kindlichem Hass erfüllt, hoffte ich, dass er sich augenblicklich in eine Feuersäule verwandeln würde. Das geschahzwar nicht, aber er fing immerhin Feuer und taumelte schreiend umher, während seine Freunde versuchten, mit bloßen Händen das Feuer zu löschen, und ich mich aus dem Staub machte.
    Seitdem war über ein Jahr vergangen, und ich hatte Pike nicht wieder gesehen. Er hatte auch nicht versucht, mich ausfindig zu machen, und ich hatte stets einen großen Bogen um Dockside gemacht. Es war so eine Art Waffenstillstand. Ich hatte jedoch keinen Zweifel daran, dass Pike und seine Freunde noch wussten, wie ich aussah, und dass sie fest entschlossen waren, falls sie mich

Weitere Kostenlose Bücher