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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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Grube, die sie ausgehoben hatten, ein Feuer zu entfachen.
    Die ganze Nacht hindurch sangen die Einwohner der Stadt und tanzten um das lodernde Feuer herum. Sie wussten, dass der letzte und gefährlichste Dämon der Welt endlich gefangen war.
    Und die ganze Nacht hing Encanis an seinem Rad und sah ihnen reglos wie eine Schlange dabei zu.
    Als der Morgen des elften Tages graute, ging Tehlu ein drittes und letztes Mal zu Encanis. Der Dämon sah verhärmt aus. Seine Haut war bleich, und die Knochen zeichneten sich ab. Seine Macht jedoch hüllte ihn immer noch ein wie ein dunkler Mantel, und ein Schatten verbarg sein Gesicht.
    »Encanis«, sagte Tehlu, »das ist deine letzte Gelegenheit, noch etwas zu sagen. Sprich, denn ich weiß, dass du zu sprechen vermagst.«
    »Herr Tehlu, ich bin nicht Encanis.« Einen kurzen Moment lang klang die Stimme des Dämons mitleiderregend, und alle, die es hörten, wurden von Kummer ergriffen. Dann jedoch ertönte ein Laut wie von abkühlendem Eisen, und das Rad tönte wie eine eiserne Glocke. Bei diesem Laut bäumte sich Encanis unter Schmerzen auf, und als das Tönen dann verklang, hing er schlaff an den Handgelenken herab.
    »Lass deine Schliche, Finsterer. Und lass das Lügen«, sprach Tehlu streng, mit einem Blick so dunkel und hart wie das eiserne Rad.
    »Was denn sonst?«, zischte Encanis. »Was? Soll ich dich peinigen und schließlich zerschmettern? Was erwartest du von mir?«
    »Deine Straße ist bald an ihrem Ende angelangt, Encanis. Aber dennoch darfst du immer noch wählen, auf welcher Seite der Straße du wandeln willst.«
    Encanis lachte. »Du stellst mich vor die gleiche Wahl wie das Vieh? Nun, dann werde ich auf deine Seite des Weges hinüberkommen, werde Bedauern und Reue zeigen –«
    Das Rad ertönte erneut, wie eine mächtige Glocke. Encanis sträubte sich gegen die Ketten, und seine Schreie ließen die Erde erbeben und zerschmetterten im Umkreis einer halben Meile alles Gestein.
    Als das Klingen des Rads und die Schreie verklungen waren, hing Encanis keuchend und zitternd an seinen Ketten. »Ich sagte doch, dass du das Lügen lassen sollst«, sagte Tehlu mitleidlos.
    »Dann eben mein Weg!«, schrie Encanis. »Ich bereue gar nichts! Wenn ich noch einmal von vorne beginnen könnte, würde ich nichts anders machen, würde nur schneller vor dir fliehen. Dein Volk ist doch nur das Vieh, von dem wir uns ernähren! Wenn du mir nur eine halbe Stunde ließest, würde ich Dinge anstellen, dass diese ganzen erbärmlichen, gaffenden Bauerntölpel vor Angst den Verstand verlieren würden. Ich würde das Blut ihrer Kinder saufen, würde in den Tränen ihrer Frauen baden.« Er hätte wohl noch mehr gesagt, doch das Sträuben gegen die Ketten hatte ihn kurzatmig gemacht.
    »Nun denn«, sprach Tehlu und trat an das Rad heran. Einen Moment lang schien es, als wollte er Encanis in die Arme schließen, aber er griff nur nach den eisernen Speichen. Dann hob Tehlu das Rad empor. Er trug es auf hoch erhobenen Händen zu der Grube und warf es hinein.
    Die ganze Nacht hindurch hatten ein Dutzend Nadelbäume dem Feuer Nahrung gespendet. In den frühen Morgenstunden erloschen die Flammen schließlich und hinterließen ein tiefes, glühendes Kohlenbett, das aufglomm, wenn der Wind darüberstrich.
    Das Rad landete flach darauf, Encanis obendrauf. Funken sprühten, und Asche wurde aufgewirbelt, und das Rad sank ein paar Zentimeter tief in die glühenden Kohlen. Encanis wurde von dem Eisen gehalten, das ihn fesselte, ihn verbrannte und stach.
    Zwar kam er mit dem Feuer selbst nicht in Berührung, doch war die Hitze so immens, dass Encanis’ Kleider verkohlten und zerfielen, ohne in Flammen aufzugehen. Der Dämon sträubte sich gegen seine Fesseln und rüttelte das Rad damit noch tiefer in das Kohlenbett hinein. Encanis schrie, denn er wusste, dass selbst Dämonen an Eisen und Feuer zugrunde gehen können. Zwar hatte er große Macht, aber er war gefesselt, und er brannte. Er spürte, wie sich das metallene Rad unter ihm erhitzte, wie es das Fleisch seiner Arme und Beine schwärzte. Encanis schrie, und obschon seine Haut zu qualmen und zu verkohlen begann, war sein Gesicht immer noch in einen Schatten gehüllt, der wie eine dunkle Flamme von ihm aufstieg.
    Dann verstummte Encanis, und man hörte nur noch das Zischen von Schweiß und Blut, das sich den Gliedmaßen des Dämons entrang. Eine ganze Zeit lang war es still. Encanis sträubte sich gegen die Ketten, mit denen er an das Rad gefesselt war,

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