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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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und es sah so aus, als würde er sich dagegen sträuben, bis sich seine Muskeln von den Knochen und Sehnen losreißen würden.
    Dann ertönte ein Laut, wie eine zerbrechende Glocke, und ein Arm des Dämons machte sich von dem Rad frei. Rotglühende Kettenglieder flogen empor und landeten vor den Füßen der Umstehenden. Man hörte nur noch Encanis’ wildes Gelächter, das wie zerschellendes Glas klang.
    Dann war auch die zweite Hand des Dämons frei, doch ehe er sich weiter losmachen konnte, sprang Tehlu in die Grube und landete mit solcher Gewalt auf dem Rad, dass das Eisen davon klang. Tehlu packte die Hände des Dämons und presste sie wieder ans Rad.
    Encanis schrie wütend und ungläubig, denn er spürte, dass Tehlu stärker war als die eben zersprengten Ketten, sah aber auch, dass Tehlu in den Flammen zu brennen begann.
    »Du Narr!«, schrie er. »Du wirst hier mit mir sterben. Lass mich los, und du wirst weiterleben. Lass mich los, und ich werde dir nie wieder zur Last fallen.« Und das Rad ertönte nicht dabei, denn nun hatte Encanis wirklich Angst.
    »Nein«, sagte Tehlu. »Deine Strafe ist der Tod. Und du wirst deine Strafe verbüßen.«
    »Du Narr! Du Wahnsinniger!« Encanis wehrte sich vergeblich. »Du verbrennst mit mir! Du stirbst mit mir!«
    »Alles wird einmal zu Asche, und so wird auch dieses Fleisch verbrennen. Aber ich bin Tehlu. Mein eigener Sohn. Mein eigener Vater. Ich war zuvor, und ich werde danach sein. Wenn ich mich opfere, trifft es nur mich selbst. Und wenn man mich braucht und auf die richtige Weise ruft, werde ich auch künftig kommen, um zu richten und zu strafen.«
    Und so presste Tehlu ihn an das brennende Rad, und weder die Schreie noch die Drohungen des Dämons berührten ihn im Mindesten. Und so begab es sich, dass Encanis aus dieser Welt schied, und mit ihm Tehlu, der da Menda war. Sie beide verbrannten in jener Grube in Atur zu Asche. Und das ist der Grund dafür, dass die Tehlanerpriester aschgraue Gewänder tragen. Und das ist auch der Grund dafür, dass wir wissen, dass Tehlu für uns sorgt und über uns wacht und uns schützt vor …

    Trapis unterbrach seine Geschichte, als Jaspin zu weinen begann und sich gegen die Gurte sträubte, die ihn hielten. Und sobald die Geschichte meine Aufmerksamkeit nicht mehr fesselte, glitt ich zurück in meine Bewusstlosigkeit.
    Später begann ich einen Verdacht zu hegen, der mich nie wieder ganz losließ. War Trapis womöglich ein Tehlanerpriester? Sein Gewand war schmutzig und zerlumpt, mochte früher aber von der entsprechenden grauen Farbe gewesen sein. Einige Teile seiner Geschichte hatte er eher holperig erzählt, andere aber sehr flüssig und eindrucksvoll, so als hätte er sie aus dem Gedächtnis aufgesagt. Hatte er sie aus Predigten? Oder aus dem Buch des Weges ?
    Ich habe ihn nie danach gefragt. Und obwohl ich Trapis in den nun folgenden Monaten oft in seinem Keller besuchte, hörte ich ihn nie wieder eine Geschichte erzählen.

Kapitel 24
    Dunkle Schemen

    W ährend meiner ganzen Zeit in Tarbean lernte ich immer weiter hinzu, und die meisten dieser Lektionen waren unangenehm oder schmerzhaft.
    Ich lernte zu betteln. Das war eine äußerst praktische Anwendung der Schauspielkunst vor einem äußerst schwierigen Publikum. Ich schlug mich gut, doch in Waterside war das Geld stets knapp, und eine leere Bettelschale bedeutete eine Nacht in der Kälte, mit leerem Magen.
    In einem sehr riskanten Selbststudium brachte ich mir die Kunst des Taschendiebstahls bei. Und auch hier schlug ich mich durchaus wacker. Schlösser aller Art gaben mir schnell ihr Geheimnis preis. Meine flinken Finger kamen auf eine Art und Weise zum Einsatz, von der meine Eltern oder Abenthy nie etwas geahnt hatten.
    Ich lernte, vor jedem wegzulaufen, der unnatürlich weiße Zähne hatte. Denner-Harz bleicht das Gebiss, und wenn ein Harz-Süchtiger so lange überlebt, dass er vollkommen weiße Zähne bekommt, hat er höchstwahrscheinlich schon seine gesamte Habe für diese Droge dreingegeben. Es wimmelte in Tarbean von gefährlichen Menschen, aber die Harz-Süchtigen waren die gefährlichsten. Die brachten einen für ein paar Pennys um die Ecke.
    Ich lernte, aus Lumpen notdürftig Schuhe zusammenzubinden. Von richtigen Schuhen konnte ich nur noch träumen. In den ersten beiden Jahren hatte ich daher stets kalte Füße – oder wunde – oder beides. Im dritten Jahr hatte ich dann Fußsohlen wie aus altem Leder bekommen und konnte stundenlang barfuß über das raue

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