Der Narr und der Tod
färbten sich Shondras Wangen rot. „Ja“, sagte sie, als hätte ich sie bei etwas Peinlichem erwischt. „Sie hat mich angerufen, um es mir zu berichten. Ungefähr einen Monat, bevor das Kind zur Welt kommen sollte.“
„Haben Sie Regina während der Schwangerschaft gesehen?“
„Nein, Ma’am.“
Bei diesem Ma’am kam ich mir uralt vor und musste mir auf die Unterlippe beißen, um nicht laut zu protestieren.
„Wissen Sie, wann das Baby geboren ist?“
„Rory hat mir gesagt, es sei da“, sagte Shondra, die sich völlig unnötig mit dem Schlüsselring des Babys befasste. Ihre Kleine schnappte sich den Ring und stopfte ihn in den Mund, um begeistert darauf herumzukauen. „Ach Schätzchen, richtig sauber war der nicht“, brummte Shondra, beließ den Ring aber, wo er war.
Shondra hatte nicht angegeben, Regina in hochschwangerem Zustand gesehen zu haben. Das hatte bisher noch niemand – jedenfalls niemand, dem ich trauen wollte. „Wissen Sie, wo Regina das Kind zur Welt gebracht hat?“, fragte ich weiter.
„Sind Sie sicher, dass Sie nicht doch einen Kakao möchten?“
„Ganz sicher, danke“, antwortete Martin bestimmt. Er wurde ungeduldig, da er es gewohnt war, dass die Leute ihm sagten, was er wissen wollte, und zwar sofort und ausreichend detailliert. Ich warf ihm einen warnenden Blick zu, der besagte, er solle sich gefälligst zurückhalten.
„Hat sie Hayden in der örtlichen Klinik bekommen?“, fragte ich, um zum eigentlichen Thema zurückzukommen.
„Nein. Rory sagte, sie sei zu einer Hebamme im Brook County gegangen.“
Das hatte er uns auch berichtet.
„Wie heißt diese Hebamme?“ Ich schenkte Shondra mein einschmeichelndstes Lächeln.
„Bobbye Sunday, so lautet ihr Name.“ Shondra sah uns nicht an, sie schien nur Augen für Kelly zu haben. Aber ihre Antwort kam so verdrießlich, dass ich sicher war, sie sagte die Wahrheit.
„Danke!“ Martin schien eine Weile die Luft angehalten zu haben, jedenfalls atmete er hörbar aus und sprang beinahe vom Stuhl auf. Er schnappte sich mit einer Hand die Windeltasche, die andere streckte er mir hin, um mir aufzuhelfen. Das war mir recht, ohne Hilfe wäre es schwierig geworden, mit Hayden in den Armen von der Couch hochzukommen. Wir verabschiedeten uns höflich, zuvorkommend und heillos erleichtert darüber, dass dieser Besuch endlich zu Ende war. Shondra versprach, Dylan zu uns hinauszuschicken, sobald er von der Arbeit kam, und Martin bat ausdrücklich darum, Rory gleich mitzuschicken.
Wir fuhren zurück zum Holiday Inn, sammelten unsere Sachen ein und bezahlten. Dabei redeten wir wenig, denn Martin und ich gingen getrennt voneinander im Geiste noch einmal die Besuche des Tages durch. Rory wich uns aus, was darauf schließen ließ, dass er uns Informationen vorenthielt. Das war im Grunde nichts Neues, aber spannend war es doch. Martin hatte sicher nicht zugestimmt, den jungen Mann zurück nach Corinth zu bringen und dabei nicht nur gegen das Gesetz, sondern auch gegen alle Regeln des gesunden Menschenverstands zu verstoßen, damit eben dieser Knabe sich jetzt rarmachte und uns aus dem Weg ging, so gut es ihm möglich war. Natürlich hätte Martin damit rechnen müssen, und am liebsten hätte ich ihm auch unter die Nase gerieben, dass ich ihn gleich gewarnt hatte, aber ich verkniff ich mir diesen Spruch und versprach mir zur Belohnung eine neue Brille, falls ich mein Schweigen durchhalten würde.
Ich suchte schnell noch einen Lebensmittelladen auf, während Martin tapfer zusammen mit Hayden den örtlichen K-Mart ansteuerte, und dann waren wir unterwegs zur Farm, auf der Martin aufgewachsen war und wo er gelebt hatte, bis er nach Vietnam gegangen war. Sein Vater war früh gestorben, Martin war damals noch ein Junge gewesen. Seine Mutter hatte wieder geheiratet und lebte bei Martins Wegzug aus Ohio bereits seit einigen Jahren mit einem Bauern namens Joseph Flocken zusammen. Mit diesem Joseph, inzwischen verwitwet, hatte ich mich treffen müssen, um das Bauernhaus zu kaufen, das ich Martin zur Hochzeit geschenkt hatte.
Die Bartell-Farm lag an der Route 8 südlich von Corinth, wobei die Fahrt dorthin länger dauerte, als ich sie in Erinnerung hatte. Von der Straße aus war nur ein Stück des Daches zu sehen. Wollte man nett sein, so konnte man die Lage des Hauses als ruhig bezeichnen, mir kam es hier draußen in der verschneiten Landschaft ein wenig zu einsam und düster vor. Als wir endlich das Ende der langen, kiesbestreuten Auffahrt
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