Der Narr
Frechheit«, hörte Sam ihn immer wieder keuchen. »Die sollen sich mal hier herein stellen, um zu lernen, was Arbeit ist.« Der faule Staatsdiener war aber nicht sein einziges Feindbild. Sam würde an jenem Abend merken, dass es noch viel mehr gab, was dem ›Herrn Wirt‹ grundsätzlich gegen den Strich ging. Egal worüber er jammerte – während seines Lamentierens zündete er sich stets auch eine Zigarette an und merkte dabei beiläufig an, dass das Rauchen noch irgendwann mal sein Tod sein würde. »Aber was willst machen?«, stellte er schließlich fest. »Wenn’st dich einmal an die Zigaretten g’wohnt hast … ein Krügerl, der Herr?«
Er sah Sam ein wenig irritiert an, als der nach Speisekarte fragte: »Bei mia brauchn’s ka Koartn«, gab er gelassen zurück. »Schnitzerl, Henderl oder a Cordon Blue. An Rostbrotn mit Zwiebel hätt ma donn a no. Oba do is nimma vü do.« Der Wirt schnaufte ein paar Mal durch, zählte mit den Fingern und dachte angestrengt nach. Mit den Worten »Es wird a ned leichter«, fing er ein paar Mal neu von vorne an. »Warten’s! I frog in da Küch noch! Ned, dass I earna wos foisches vasprich«, schnaubte er schließlich. »Grete!«
Niemand antwortete auf seinen Ruf. »Grete!«, brüllte er erneut und übertönte dabei mit seiner hohen, heiseren Stimme jeden anderen im Raum.
Endlich kam aus der Küche ein »Wos is?« zurück.
»Gibt’s no an Rostbrotn?«
»Na!«, kam es aus der Küche zurück.
»Rostbraten is aus!«, wiederholte der Wirt. »A Schnitzerl vielleicht? Da Breslteppich vom Figlmüller is a Schaß gegen die unsrigen.« Nachdem Sam vorerst nur ein Krügerl Bier bestellt hatte, trottete der Wirt mit den Worten »Na wos frogt a donn wos zum Essen« weg.
Der ältere Herr mit dem weißen Pferdeschwanz, der Sam und den anderen seinen Wagen am Parkplatz nahe der Steinpyramide überlassen hatte, saß in Rauchschwaden eingehüllt an einem Tisch in der Ecke. Es war kein leichtes Unterfangen für ihn, sich von seinem Gesprächspartner nebenan zu lösen, der ihn voll für sich beanspruchte.
»Du, i hon da a Buach, des muasch unbedingt amol lesn!«, gab der Mann neben ihm eindringlich zu verstehen. Sam konnte anhand von ein paar Wortfetzen nur erahnen, was der Gesprächspartner aus den westlichen österreichischen Bundesländern sagen wollte: Es ging um Alchemie, Freimaurer, Kirchberg am Wagram und Oberstockstall. Er wurde in Folge der eigenen Schilderungen über Verschwörungstheorien sichtlich emotional. Bei Begriffen wie Weishaupt, Weltherrschaft und Neuschwabenland begann er sogar zu zittern: »Alle steckn´s unter oana deckn, sog i da! Do muasch was mochn!«
Sam musterte das Schauspiel. Obwohl sein Gesprächspartner sich schon lange von ihm abgewandt hatte, ließ sich der Westösterreicher nicht beirren und sprach weiter. Er redete auch noch, als sich der Mann mit dem Pferdeschwanz schon längst erhoben hatte und auf Sam zuging. Später aber doch dämmerte ihm, dass es keinen Adressaten mehr für seine Worte gab. Nach einem Schluck Bier blickte er sich kurz um und stupste den nächsten Sitznachbarn an: »Du, I hab da a Buch, desch muasch unbedingt amoi lesn!«
Sam hatte nicht damit gerechnet, von dem Mann mit dem weißen Pferdeschwanz wie ein Freund umarmt zu werden. Er wusste nicht so recht, wohin mit seinen Armen, und so klopfte er seinem Gegenüber verlegen auf die Schultern. Anhand seiner blutunterlaufenen Augen konnte Sam sehen, dass sein ›neuer Freund‹ bereits einiges getrunken hatte. Dass es erst Mittag war, schien ihm völlig einerlei zu sein.
»Professor Leonid Minsk! Freunde nennen mich Leo«, sagte der Mann mit dem Pferdeschwanz mit sonorer Stimme. »Aber ein Freund bist du erst, wenn wir gemeinsam Wodka getrunken haben.« Er bat Sam, sich zu setzen.
»Wie sind Sie auf mich gekommen?«, fragte Sam sofort.
»Alles zu seiner Zeit. Trink, Brüderlein, trink! Maslovic, zwei Wodka und eine Flasche Rotwein. Na zdrowie !«, rief der Russe aus und erhob das Glas. Der Wodka brannte in Sams Kehle herunter.
»Professor Minsk …«, setzte er an.
»Ab jetzt Leo«, wurde er unterbrochen.
»Leo, es tut mir leid wegen deinem Auto«, fuhr Sam fort.
»Macht nichts«, gab der Russe zurück, als wäre es ihm vollkommen egal, dass es am Schrottplatz gelandet war.
»Leo, du hast am Telefon gesagt, du kannst mir helfen?«
» Da! Ich gehöre einer Gruppe andersdenkender Menschen an, die Interesse daran haben, dass dieser Fall bald gelöst wird. Erzähl mir, was
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