Der Narr
er rot anlief. Schnell fuhr er mit einer tiefen, männlichen Stimme fort, wie man es sich von einem Mann seiner Gewichtsklasse erwarten würde: »Sie sind also in der Früh auf die Suche gegangen. Was war dann?«
»Nachdem ich sie am Hof nicht gefunden hatte, bin ich die Stiegen zum Rittersaal rauf und dann weiter auf die Aussichtsplattform. Als ich dann das Blut …«
Die Zeugin hielt die Tränen zurück. Remmel seufzte und versuchte, seine Stimme tief zu halten. »Wie spät war es da?«
»Kurz nach acht.«
Wimmer mischte sich wieder ein, ohne gefragt zu werden: »Im Protokoll haben wir dann auch noch vermerkt, dass Frau Loidl alleine war, als sie auf die Plattform ging.«
»Wimmer, seien’s endlich einmal stad! Frau Loidl, es würde uns viel weiterhelfen, wenn Sie uns etwas über Frau Heisenstein sagen könnten.«
»Was wollen Sie wissen? Alice war eine gute Freundin.«
»Beste Freundin?«
»Nein«, Barbara Loidl zögerte. »Eine wie Alice hat keine besten Freundinnen. Sie kam nie zur Ruhe, wenn Sie verstehen. Die Karriere, die sich ihr Vater für sie ausgedacht hatte und die zahlreichen Studentenparties …«
»Wie würden Sie sie jemandem beschreiben, der sie nicht kennt?«
»Intelligent … unberechenbar … aber auch gefährlich.« Sie zögerte merklich. »Alice war eine besondere Art der Femme Fatale, die manche Männer speziell mit ihrer Unnahbarkeit in den Wahnsinn getrieben hat.« Die junge Frau überlegte kurz, bevor sie weitersprach: »Sie war allgemein schwer zu durchschauen. Immer wieder machte sie Dinge, die nicht zu dem Püppchen, das sie zu sein schien, passten. Sie war definitiv auf der Suche nach irgendetwas.«
»Nennen Sie mir ein Beispiel!«
»Die Maturareise! Sie weigerte sich, mitzufahren. Sie nannte es eine einzige Sauferei, auf die sie verzichten konnte. Sie wollte stattdessen nach Indien. Das schlug ein wie eine Bombe. Niemand konnte sich das vorstellen. Sie, die so empfindlich und penibel war! Nach Indien, ein Land, in dem es so viel Schmutz und Armut gibt! Aber es sie hat es durchgezogen. Zwei ganze Monate war sie drüben.«
»Und nach der Schulzeit? Was war dann?«
»Sie ging nach Wien auf die WU und unsere Wege trennten sich. Wir haben hin und wieder telefoniert, uns aber nur mehr selten gesehen. Ich war, ehrlich gesagt, überrascht, als sie mich nach fast zwei Jahren anrief und mich nach meinen Plänen für dieses Wochenende fragte. Ich betonte, wie matschig und kalt es werden könnte. Ich rechnete nicht damit, dass sie wirklich mitkommen würde. Aber gestern stand sie plötzlich vor meiner Tür und hielt mir sogar eine Flasche Met entgegen. Einzig ihre Kleidung war nicht ganz passend.«
»Gucci, Prada und Louis Vuitton?«, fragte Hanni.
»Nein, ein weißes Kleid. Sie sah aus wie Barbie. Mit Blumen in den Haaren. Aber wie sollte eine WU-Studentin auch wissen, wie man sich auf einem mittelalterlichen Fest gewandet.«
Wimmer drehte sich wieder zu Remmel und flüsterte ihm ins Ohr: »Ganz klare Revierverletzung. Irgendeiner von den Mittelalterfreaks ist ein Psychopath und hat es gar nicht gern gesehen, dass so eine WU-Mieze aufkreuzt und dann hat er sie … Na, Sie wissen schon! Oder es war einer der Besen hier. Eine bildhübsche Konkurrenz ausschalten, weil man selbst ›schiarch‹ wie die Nacht ist.«
»Columbo, wissen Sie was ein Pfosten ist?«
Der Kollege schüttelte den Kopf.
»Kein Problem! Machen Sie sich nützlich! Stellen Sie sich bitte genau dorthin, bleiben Sie einfach stehen und tun weiter nichts.«
Der Chefinspektor wandte sich wieder der jungen Zeugin zu: »Warum glauben Sie, ist sie wirklich mitgefahren, Frau Loidl?«
»Sagte ich doch schon: Sie war immer für Überraschungen gut.«
»Warum kommt jemand wie Alice ausgerechnet hierher? Bitte verstehen Sie das nicht abwertend! Ich würde die gleiche Frage stellen, wenn dieser Rauschebart mit dem Dudelsack dort hinten im Palais Eschenbach tot aufgefunden worden wäre.«
»Was weiß ich!«, seufzte die junge Zeugin. »Vielleicht wollte sie nur ein paar Herzen brechen und ihren Spaß daran haben! Oder sie wollte einfach nur mal wieder verrückt sein. Keine Ahnung!«
»Herr Inspektor, bitte. Es reicht!« Der Sanitäter deutete Frau Loidl einzusteigen. Doch Remmel hatte eine heiße Spur. Wieder einmal hatte er etwas herausgehört. Er konnte es sich nicht erklären, aber irgendetwas war an der letzten Antwort seltsam. Er versuchte noch einmal an dem Sanitäter vorbei zu kommen, der sich zwischen ihn und
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