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Der Narr

Der Narr

Titel: Der Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Papp
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weit außerhalb der Sichtweite des Hauptzeltes stand, hatte bereits seine Dienste geleistet, als Remmel noch die Schulbank drückte. Der Charme einer vergangenen Zeit – das war für Remmel der wahre Zirkus.
    Minsk lächelte seine Besucher an: »Bitte kommen Sie doch in meine bescheidene Unterkunft und sagen Sie mir, was ich für Sie tun kann.«
    Hanni und Remmel folgten dem alten Kauz in seinen Zirkuswagon. In den Regalen reihten sich Bücher in kyrillischer und gotischer Schrift. Ihre Umschläge waren bereits angeschlagen und die Seiten vergilbt, aber sie wirkten dennoch gepflegt. In der hinteren Ecke stand ein Grammophon. Endlich eine Sitzgelegenheit! Remmel ließ sich, ohne gebeten worden zu sein, in ein altes, muffiges Fauteuil fallen. Die Ruhe währte allerdings nur kurz. Etwas Hartes bohrte sich in sein Gesäß. Wieder ein Sessel, der sein Gewicht nicht ausgehalten hatte. Remmel biss die Zähne zusammen, es gab keinen Grund, dieses Malheur anzusprechen.
    »Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?«, fragte ihr Gastgeber und deutete auf ein Regal mit grünem Absinth, uraltem Whiskey und zahlreichen Rotweinflaschen. »Keine Sorge!«, scherzte Minsk. »Die illegalen Substanzen habe ich sicher verwahrt.«
    Eine dreifärbige Katze sprang auf Minsks Schoß. »Muschka, wo bist du gewesen? Hast wieder nicht von den Mäusen lassen können?« Der Professor drückte sanft sein Gesicht gegen das der laut schnurrenden Katze. Dann richtete er seinen Blick auf Hanni. Er sah ihr durchdringend in die Augen und lächelte sie an.
    Remmel stach die leichte Röte in Hannis Gesicht sofort ins Auge. Mal waren es die Gertenschlanken mit feinen Gesichtszügen und dunklen Augen, dann die Muskelbären mit tiefer Stimme. Scheinbar kamen allmählich die alten Mystiker bei Hanni in Mode. Bei Remmels Glück würde sie die runden Gemütlichen unmittelbar nach seinem Ableben begehren. Mit Liebesgott Amor hätte er noch ein paar Rechnungen zu begleichen. Mit dem Arsch ins Gesicht fahren würde er ihm! Den Ellbogen in die Rippen pressen und dann … jedes Böhnchen ein Tönchen! Der Liebesgott würde bei ihm lange leiden.
    »Ich bin der letzte Rest einer einst großen Familie von Artisten und Zauberkünstlern. Die meisten meiner alten Freunde sind entweder tot oder in Pension«, fing Minsk zu erzählen an. »Wir sind viel umhergereist, um mit dem Abenteuer unseren Lebensunterhalt zu verdienen. Einmal sind wir sogar bis nach Wladiwostok gefahren. Aber die Welt hat sich verändert. Man will heute eine moderne Show, perfekt abgestimmte Actioneinlagen. Für den alten Zirkus gibt es keinen Platz mehr. Aber solange es zumindest noch ein paar Leute gibt, die die Geschichten von einem alten Zauberer hören wollen, ist auch ein kleines Plätzchen am Rand für mich da.«
    Remmels Hintern schmerzte. Er rutschte hin und her, um der Druckstelle auszuweichen, bis Hanni ihm einen finsteren Blick zuwarf.
    »Sie haben zu meiner Kollegin gesagt, Sie hätten uns bereits erwartet«, wandte er sich an Minsk, um Hanni von sich abzulenken. Er wäre am liebsten aufgestanden und hätte aus dem verfluchten Sessel Kleinholz gemacht.
    »Bei der hohen Kunst der Vorausdeutung geht es darum, den Blick auf das Wesentliche zu richten, statt krampfhaft nach neuen Eindrücken zu suchen. Schon die Kabbalisten haben die Zusammenhänge der Dinge im Kleinen wie im Großen beschrieben. Es ist wie bei der DNA. Jedes Detail enthält Botschaften, um das große Ganze zu entschlüsseln. Vor ein paar Tagen hat ein Kind vor Viktors Käfig ein Spielzeug, die Figur eines Polizisten, verloren. Es gibt keine Zufälle. Ich wusste, ich musste nach einem Gesetzeshüter Ausschau halten, der mich besuchen würde und der die Seele eines Bären in sich trägt.«
    Remmel biss sich auf die Zunge. Nur nicht wieder den gleichen, alten Fehler machen! Schon der alte Hawlicek hatte ihn davor gewarnt, mit esoterisch veranlagten Personen zu diskutieren. Es war einfach nicht gut für seinen Blutdruck. Die bloße Erwähnung von spirituellem Kontakts mit Lichtwesen oder Engeln führte bei Remmel zu Werten von mindestens 180 zu 130. Bei einer Schwärmerei darüber, was ein verstorbener High-Society-Trottel-Promi weißgesagt hätte, wurde es bereits kritisch. Es zahlte sich nicht aus, wegen einem Geistheiler einen Herzkasper zu riskieren.
    »Stimmt es, dass Sie an der Universität in St. Petersburg gelehrt haben?«
    » Da! Damals hieß diese Stadt noch Leningrad. Es gibt vieles über diese wunderbare Zeit zu

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