Der Narr
aus dem hohen Norden, aus dem Land, aus dem einst Männer wie Heinz Rühmann, der Verführer der stolzesten Frauen, hervorgegangen waren. Es war an der Zeit, das norddeutsche Blut aufwallen zu lassen, um einer ›Ösi‹-Dame das Herz höher schlagen zu lassen.
»Oft hilft es, mit einem Freund zu sprechen«, keuchte er mit einer rauchigen Seefahrerstimme. So musste es funktionieren. Horst hatte Sam in der Westernbar einmal erklärt, warum Frauen am Ende doch von der Biologie gesteuert wurden. Sam hatte bei den langwierigen Erklärungen bezüglich des ›Warums‹ nicht aufgepasst, aber was zählte war, dass Nimue bei ihm jetzt an einen breitschultrigen Mann dachte, der Sturm und hoher See trotzte, um zu seiner Liebsten zu kommen. Danach würde alles automatisch gehen.
»Lass nur, ich werde schon allein damit fertig!«
»Mädel, lass dir mal was von mir sagen! Verschwende deine Zeit nicht mit Leuten wie Phil! Soll ich ihm in deinem Namen in die Juwelen treten?«
»Hast du uns etwa belauscht?«, fuhr sie ihn zornig an. Sie ballte ihre Faust. Sam fürchtete nun, sie auf schlechte Gedanken gebracht zu haben.
»Ich war nur zufällig in der Nähe. Mach mal halb lang, Mädel! Kein Kummer ist diese Sorgenfalten wert.«
»Es geht um das Projekt meines Lebens. Jahrelang habe ich darauf hingearbeitet.«
»Schau mich an, Mädel!«
»Nenn mich nicht so, wenn du nicht kastriert werden willst.«
Horst hatte Sam einmal in der Westernbar auch erklärt, dass ein Mann Erfolg haben würde, wenn er Einwände einfach überging und weiter drauf loslaberte. Die Frau würde irgendwann einmal merken, dass es für sie leichter wäre, klein beizugeben, als sich weiter sinnloses Gequassel anhören zu müssen: ›Ich zeig dir meinen Sonic Screwdriver‹, ›mein Phaser strahlt vor Freude‹ oder ›ich zücke jetzt mein Laserschwert‹ waren immer noch besser als Schweigen. Es gab in Internetforen sogar dokumentierte Fälle über Erfolge mit dieser Strategie. Sam blickte auf Nimue. Mit dem richtigen Lächeln könnte man vielleicht auch mit ›Abracadabra, öffne dich!‹ punkten. In letzter Sekunde hatte er eine andere Idee.
»Schau mich an! Bin ich besonders schön? Habe ich irgendwas an mir, das Frauen wie ein Magnet anzieht?«
Nimue schüttelte entschieden den Kopf. »Worauf willst du hinaus?«
Sam holte tief Luft und wurde melodramatisch. »Wenn ich morgens in den Spiegel blicke, gibt es Tage, da ärgere ich mich. Ich sehe ein Durchschnittsgesicht. Wieso geht mir mein Haar jetzt schon aus, wo andere in meinem Alter noch volles Haar haben? Warum habe ich so einen Zinken, obwohl es auch schöne Nasen gibt? Und dass ich neben Bodybuildern immer wie ein Bleistift aussehen werde, finde ich eine Frechheit. Doch wenn ich dann durch die Straßen spaziere, dann gibt es Momente … du weißt schon. Geh mal auf Österreichs Straßen und schau dich um! Das ist die Realität, und nicht das, was uns Hollywood vormacht.«
»Gut, dass es im Pantheon keine Beschwerdeabteilung für missglücktes Aussehen gibt«, scherzte Nimue. Allmählich taute sie also doch auf. Bald würde sie Wachs in Sams Händen werden. Sie würde seinem Charme nicht mehr widerstehen können. Der Met machte es möglich. Nach diesem Abend würde er sich mit unzähligen Flaschen von diesem Gebräu eindecken.
»Wir wollen schöne Dinge besitzen. Es ist, als wäre das in unsere Genen programmiert. Und natürlich wollen wir auch schöne Menschen um uns haben. Aber wir sind denkende Wesen. Wir können das Spiel nach unseren eigenen Regeln gestalten und das will ich verdammt noch mal auch machen. Ich sehe es nicht ein, wieso arrogante Kotzbrocken wie Phil vom Leben begünstigt sein sollen, nur weil sie schön sind.«
Sam war sich nicht ganz sicher, ob er diese Ansprache mehr für sich oder für sie gehalten hatte. Nachdem sie ihm eine halbe Ewigkeit in die Augen gestarrt hatte, fing sie an zu lächeln und strich ihm sanft über die Wange. »Wenn du nicht immer so viel Blödsinn von dir geben würdest, würde ich dich sogar mögen.«
»Wenn du wüsstest, was ich manchmal sonst noch für einen Scheiß von mir gebe! Weißt du, ich mach mir über alles Gedanken. Zum Beispiel, ob Captain Kirk auch den Erfolg mit der Frisur von Jean-Luc Picard gehabt hätte, wie man die Welt mit objektorientierten Programmiersprachen am besten beschreiben könnte und warum wir nicht einfach denjenigen zum Präsidenten machen, der die Ferengi-Erwerbsregel am besten aufsagen kann.«
Er holte tief Luft.
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