Der nasse Fisch
bringen, sich vergegenwärtigen, was
geschehen war. Was er getan hatte und was noch alles zu tun war.
Niemand hatte ihn gesehen, als er mitten in der Nacht durch den Gewitterregen zurück nach Charlottenburg geradelt war. Das
Fahrrad hatte er am Lützowufer in den Landwehrkanal geworfen und den Rest des Weges zu Fuß zurückgelegt. Die Vögel hatten
gezwitschert, als er endlich in der Nürnberger Straße vor der Tür stand. Immer noch hatte er gehandelt, als habe ihn jemand
aufgezogen, mechanisch, ohne genau darüber nachzudenken, was er tat. Weil er wusste, was zu tun war. Erst mal möglichst schnell
aus den Klamotten. Mantel und Anzug waren ruiniert, die Beton-, Dreck- und Blutspuren verräterisch. Und den Abdruck seiner
braunen Boxcalfs hatte er zigfach im Baustellenschlamm hinterlassen. Schade um die schönen Schuhe, aber auch sie mussten weg,
alles musste verschwinden. Darum wollte er sich heute Morgen kümmern. Bevor er in seinen kurzen Schlaf gesunken war, hatte
er alles in den kleineren der beiden Koffer gepackt, mit denen er vor zwei Monaten nach Berlin gekommen war, und ihn wieder
unters Bett geschoben.
Er stand auf und betrachtete sich in dem kleinen Spiegel auf dem Frisiertisch. Eigentlich ganz passabel, sah man von den Bartstoppeln
und den Ringen unter den Augen ab. Ein Bad würde ihm guttun. Er warf seinen Hausmantel über und ging hinüber ins Speisezimmer.
Der Frühstückstisch war abgeräumt, nur an seinem Platz stand noch ein einsames Gedeck. Der Kaffee in der Kanne war kalt. Er
schenkte sich eine Tasse ein und trank sie in einem Zug leer. Es musste nicht schmecken, es sollte wirken. Appetit hatte er
keinen, den Brotkorb rührte er nicht an. Er klopfte an die Tür, die zu den Räumen seiner Zimmerwirtin führte. Keine Reaktion.
War sie nicht zu Hause oder nur beleidigt?
»Elisabeth, ich nehme ein Bad«, rief er vorsichtshalber durch die Tür. Nicht dass die Behnke gerade jetzt auf die Idee kam,
das Badezimmer ihrer Mieter sauber zu machen.
Eigentlich glaubte er nicht, dass sie noch auf dumme Gedanken kommen könnte, dennoch schloss er die Tür ab, nachdem er sich
mit einem Handtuch und frischen Sachen ins Bad zurückgezogen hatte. Er öffnete die Feuerklappe im Badeofen, zündete etwas
Zeitungspapier an und legte ein Brikett nach. Während der Ofen langsam heiß wurde, zog er sich aus. Dann rollte das Handtuch
auseinander, und seine verschmutzten Sachen fielen auf die Bodenfliesen. Aus seiner Badetasche holte er eine Schere und schnitt
den nach Regen riechenden klammen Stoff in Streifen. Erst den Mantel, dann den Anzug. Fetzen um Fetzen wanderten in den Ofen,
bis schließlich alles in den Flammen verschwunden war.
Wenig später saß er im warmen Wasser und hing seinen Gedanken nach. Wie er seine Schuhe loswerden wollte, wusste er noch nicht
genau, aber wahrscheinlich war es das Beste, sie wie das Fahrrad in den Kanal zu werfen, natürlich an einer anderen Stelle,
ein paar Kilometer entfernt. Er musste heute ohnehin noch nach Kreuzberg, und das Haus am Luisenufer lag ganz in der Nähe
des Urbanhafens. Bevor die Inspektion E seine Dienste wieder in Anspruch nahm, wollte er sich die Wohnung von Swetlana Gräfin
Sorokina einmal anschauen.
Er musste diesen verfluchten Fall lösen. Jetzt erst recht! Irgendwem war er mit seiner Schnüffelei auf die Füße getreten.
Der Terrier, den sie ihm auf den Hals gehetzt hatten, bestätigte ihm nur, dass er auf der richtigen Spur sein musste. Marlow
hatte seine Finger im Spiel, wahrscheinlich hatte er auch den kleinen Kerl hinter ihm hergeschickt, der jetzt tot im Beton
lag. Irgendetwas hatte Dr. M. mit Boris’ Tod zu tun, und Gereon Rath würde schon noch herausbekommen, was. Jedenfalls wusste
Marlow von dem Sorokin-Gold. Und Alexej Kardakow hatte für ihn gearbeitet und war mit einer Gräfin Sorokina befreundet. Das
nette Pärchen war verschwunden, ein dritter Russe war tot.
Als er sich aus dem kühler werdenden Badewasser erhob, fühlte er sich schon besser. Langsam kehrte der alte Tatendrang zurück.
Bevor er hinausging, schaute er noch kurz in den Badeofen. Er konnte keine Textilreste mehr erkennen, alles Asche. Seinen
Lieblingsanzug gab es nicht mehr. Jetzt musste er nur noch die Schuhe loswerden und hoffen, dass die Bauarbeiten im Stralauer
Viertel gute Fortschritte machten.
»Kommense jetzt jeden Sonnabend vorbei? Weilse wissen, dass mein Hermann da aussem Haus is, oder warum?«
Sie
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