Der nasse Fisch
flotter Spruch, mit dem sonst am Ort eines Verbrechens das Entsetzen bekämpft wurde. Wenn einer der ihren ermordet wurde,
verstand die preußische Polizei keinen Spaß. Aber nicht nur deshalb riegelte eine ganze Hundertschaft den Tatort ab. Auf dem
Bülowplatz hatte sich eine immer größer werdende Menschenmenge versammelt, die Parolen skandierte. Die Kommunisten empfanden
den Auftritt der Polizei in ihrem Revier offensichtlich als Provokation. »Ar-beiter-mör-der!«, schallte es im Takt, »Zör-giebel-knech-te!«
Böhm begrüßte ihn mit einem Händedruck. So friedlich hatte Rath den Mann noch nie gesehen
»Kommen Sie, Herr Kollege«, sagte der Oberkommissar. »Schwartz kümmert sich gerade um Jänicke. Haben Sie eine Ahnung, warum
jemand dem armen Kerl ans Leben wollte? Kann das etwas mit Ihrem aktuellen Fall zu tun haben?«
Rath zuckte die Achseln. Das war genau das, was er befürchtete. Seit er sich am Alexanderplatz auf den Weg gemacht hatte,
war ihm dieser Gedanke nicht aus dem Kopf gegangen. Hatte erden Frischling in den Tod geschickt, als er ihn auf die Mulackritze angesetzt hatte? Die Kneipe lag nicht weit entfernt. Vielleicht hatte Jänicke dort mehr Staub aufgewirbelt, als dem roten
Hugo lieb gewesen war. In diesem Milieu konnte man leicht in ein Wespennest stechen. Selbst wenn man ahnungslos war. Gerade
wenn man ahnungslos war.
Rath behielt seine Gedanken für sich, als er Böhm in den Bretterverschlag folgte. Ein Scheinwerfer erhellte die armselige
Hütte, an deren Wänden längst verjährte Werbeplakate hingen. An der Rückwand glänzte ein noch feuchter Blutfleck. Darunter
hockte ein Mann in einem leichten, hellen Sommermantel am Boden und beugte sich über etwas, das an der Wand lag. Als die beiden
Kriminalbeamten eintraten, drehte er sich um. Dr. Schwartz wirkte ernster als sonst. Seinen berüchtigten Humor hatte er heute
zu Hause gelassen.
»Ihr Mitarbeiter?«, fragte Schwartz und stand auf. Rath nickte. Er schaute den Mediziner nicht an, er schaute auf das Bündel
am Boden. Die hellblonden Haare blutverschmiert, ebenso das Gesicht. Von der Nase war kaum etwas übrig. Hätte er nicht gewusst,
wer da lag, er hätte Jänicke nicht wiedererkannt. Was für ein mieser Tod in diesem nach Pisse stinkenden Drecksloch! Der tote
Jänicke erinnerte ihn daran, was für einen beschissenen Beruf sie im Grunde doch hatten!
»Muss vor drei, vier Stunden passiert sein«, sagte Schwartz und wischte sich die Hände mit einem weißen Taschentuch ab. »Aufgesetzter
Schuss. Da braucht einer nicht besonders gut schießen zu können. Scheint ihm den Lauf förmlich in die Nase geschoben zu haben.«
»Er wurde hier erschossen, oder?«, fragte Rath und zeigte auf den Blutfleck an der Wand.
»Deutet alles darauf hin. Wir müssen natürlich noch untersuchen, ob es wirklich sein Blut ist«, sagte Schwartz.
Rath schüttelte den Kopf. »Die Nase wegschießen«, sagte er. »wer kommt denn auf so eine Idee?«
»Das machen Rattenvereine schon mal mit Verrätern«, meinteBöhm. »Einfach die Nase wegpusten. Aber die schießen einem normalerweise nicht gleich das Gehirn mit raus.«
»Die Schwarze Reichswehr hat so etwas seinerzeit auch im Repertoire gehabt«, sagte Dr. Schwartz. »Genauso wie die Rotfront.
Damals in den wilden Jahren.«
Vielleicht kommen die ja wieder, die wilden Jahre , dachte Rath. »Gibt es eigentlich irgendwelche Zeugen?«, fragte er Böhm.
Der Oberkommissar zuckte seine massigen Schultern. »Keine Ahnung. Noch haben wir keinen. Der, der ihn gefunden hat, hat es
vorgezogen, anonym zu bleiben. Aber ich möchte wetten, dass die Schreihälse da draußen mehr wissen. Heute Morgen hatten die
Thälmanns eine Kundgebung vorm Liebknechthaus. Vielleicht hat einer von denen was mitbekommen.«
»Oder geschossen.«
»Oder geschossen. Aber es sieht so aus, als habe der junge Kollege seinen Mörder gekannt, so nah hat er ihn an sich herangelassen.
Und meines Wissens war Jänicke kein Roter.«
Rath nickte. »Vielleicht haben ihn aber auch zwei festgehalten, und ein Dritter hat geschossen.«
»Lassen wir die Spekulationen. Sammeln wir Anhaltspunkte.« Böhms Stimme klang unwirsch, wieder ganz so, wie Rath es von ihm
gewöhnt war. »Sagen Sie mir lieber mal, mit welchen Ermittlungen Sie den Kriminalassistenten betraut hatten. Warum war er
überhaupt am Bülowplatz?«
Und Rath erzählte. Vom heiligen Josef und vom roten Hugo und dass er Jänicke auf die Berolina
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