Der nasse Fisch
angesetzt hatte, um einer möglichen Spur nachzugehen. Diese ganze Farce einer Ermittlung, die er nur inszeniert hatte, um
von seiner eigenen Schuld abzulenken. Eine Farce, die plötzlich zum tödlichen Ernst geworden war. Der Oberkommissar hörte
schweigend zu.
»Gut, Herr Kommissar«, sagte er schließlich. »Ich denke, ich sollte mir Ihre Akten im Fall Wilczek einmal anschauen. Vielleicht
können Sie mir insbesondere die Protokolle der Gespräche, die der Kollege Jänicke geführt hat, gleich mal raussuchen.«
Rath nickte. Es behagte ihm nicht, einen anderen in einem Fallherumschnuppern zu lassen, den er sozusagen als seine Privatsache betrachtete, aber es blieb ihm wohl nichts anderes übrig.
»Und sollte da tatsächlich ein Zusammenhang bestehen«, fuhr Böhm fort, »dann sollten wir auch unsere Ermittlungsgruppen zusammenführen.
Selbstverständlich unter meiner Leitung.«
»Wenn die Herren mich entschuldigen wollen …« Dr. Schwartz hob seinen Hut. »Meine Arbeit hier ist erledigt. Alles Weitere
erfahren Sie in der Hannoverschen Straße. Ich rufe Sie dann an, Böhm.«
In der engen Barackentür wäre der Gerichtsmediziner beinahe mit einer kräftigen Gestalt zusammengestoßen, die er kurz grüßte.
Bruno Wolter kam herein. Der Onkel sah blass und gehetzt aus, als sei er von der Burg bis hierher gerannt. Hatte Böhm also
auch in der Inspektion E angerufen. Eigentlich logisch. Wenn ein Polizist ermordet wurde, lag es nahe, dass es etwas mit seinem
Dienst zu tun haben könnte. Aber ausgerechnet der Fall König?
»Mein Gott«, stammelte Bruno, als er die Leiche sah. Sein Blick wanderte von Böhm zu Rath, dann hockte er sich zu dem toten
Jänicke. So aufgewühlt hatte Rath den Onkel noch nicht erlebt. Eigentlich hatte er ihn immer für einen abgebrühten alten Knochen
gehalten. So war das bei vielen Polizisten: Sie wirkten oft nur deswegen kaltblütig, weil sie nichts an sich heranließen.
Aber manche Dinge kamen an einen heran, ob man wollte oder nicht. Rath legte dem Kollegen die Hand auf die Schulter.
Sie schwiegen. Draußen brüllten die Kommunisten immer noch ihre Parolen.
»Wenn diese roten Arschlöcher da draußen nicht bald ihre Schnauze halten, dann weiß ich nicht, was passiert«, hörte er Bruno
durch die zusammengepressten Zähne sagen.
Die Nachricht vom Tod Stephan Jänickes verbreitete sich in der Burg wie die Druckwelle einer Bombe. Rasend schnell und mit
einer verheerenden Wirkung. Die Schuldfrage war für die meisten schon geklärt: Wenn ein Polizeibeamter am Bülowplatz erschossen
wurde, dann mussten es einfach Kommunisten gewesen sein.Eine Aggressivität breitete sich aus, schlimmer noch als die Unsicherheit vor zwei Wochen. Damals hatten viele Kollegen nur
Angst gehabt vor einem möglichen kommunistischen Aufstand, jetzt aber drängten Rachegelüste jeden vernünftigen Gedanken beiseite.
Kaum hatte Zörgiebel Böhms Bericht gehört, trommelte der Polizeipräsident alle Kriminalbeamten des gehobenen Dienstes zusammen.
Diesmal murrte niemand. Alle wussten schon, um was es ging, noch bevor Zörgiebel überhaupt im Saal war: Dem Fall Jänicke wurde
absoluter Vorrang eingeräumt. Zwei Wochen nach den kommunistischen Ausschreitungen dürfe die Polizei nicht zulassen, dass
einer der ihren heimtückisch ermordet werde. Zörgiebel machte keinen Hehl daraus, wo die Schuldigen seiner Meinung nach zu
suchen wären: unter den Mitgliedern des inzwischen verbotenen Rotfrontkämpferbundes. Damit traf er die Stimmung im Saal genau.
Rath hielt es für bedenklich, noch Öl ins Feuer zu gießen. Der PP ruderte auch gleich wieder zurück und mahnte äußerste Sorgfalt
und Zurückhaltung an: »Wir dürfen der Journaille keinen Anlass geben, erneut über die preußische Polizei herzufallen, die
doch nur ihre Pflicht erfüllt. Also achten Sie darauf: Gehen Sie äußerst sorgfältig und gewissenhaft vor! Vernehmen Sie alle
Personen in diesem Fall grundsätzlich im Beisein eines zweiten Beamten, der auch das Protokoll gegenzeichnet! Damit uns kein
Kommunist Verhöre dritten Grades nachsagen kann!«
Verhöre dritten Grades . So nannten sie in der Burg ein Verhör, bei dem die Fäuste zum Zwecke der Wahrheitsfindung eingesetzt wurden.
Böhm sollte wie erwartet die Ermittlungen leiten, alle anderen Mordfälle wurden erst einmal auf Eis gelegt, sämtliche Kapazitäten
der Kriminalpolizei sollten auf die Aufklärung des Jänicke-Mordes konzentriert werden. Böhm
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