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Der nasse Fisch

Der nasse Fisch

Titel: Der nasse Fisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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Und
     dann sind Sie sofort rüber?«
    »Was heißt sofort? Wir haben ja auch noch was anderes zu tun.«
    »Haben erst das Ende der Kundgebung abgewartet, was?«
    Böhm wusste, dass die Blauen den Kommunisten seit den Maizwischenfällen nach Möglichkeit aus dem Weg gingen. Der Schupo wurde
     bärbeißig.
    »Wollense uns Ärger machen, oder wollense ’nen Mordfall aufklären?«
    In der Bude war es dunkel, ein strenger Uringeruch lag in der Luft, nur in schmalen Streifen drang Tageslicht ein. Böhm schaltete
     seine Taschenlampe an. Die Leiche lag gegen die Rückwand gelehnt, den Kopf vornübergebeugt. Ziemlich groß, dünn, blonde Haare.
     Böhm ging in die Hocke, um das Gesicht zu sehen. Schwierig. Da war kaum noch was zu erkennen. Dort, wo früher einmal die Nase
     gewesen war, klaffte eine blutende Wunde. Das Blut war dem Mann in den Kragen gelaufen und hatte das Hemd rot gefärbt.
    Er hörte draußen den Wagen vorfahren. Dann die Stimme des Schupos: »Der Herr Oberkommissar befindet sich schon am Tatort.«
    Gräf erschien in der Tür, den Fotoapparat geschultert.
    »Wollen wir hoffen, dass der hier Papiere dabeihat, was, Herr Oberkommissar?«
    »Machen Sie keine Witze, machen Sie Fotos. Dann können wir mal nachschauen, was er so im Mantel hat.«
    Es dauerte nicht lange, und Blitzlicht erhellte das Dunkel für Sekundenbruchteile.
    »Alles im Kasten«, sagte Gräf, als er fertig war. »Aber für Steckbrieffotos reicht’s diesmal nicht.«
    Das war auch nicht nötig. Der Tote hatte tatsächlich einen Ausweis in der Tasche. Und Böhm wusste mit einem Mal, dass dieserFall ein ganz besonderer werden würde. Dass er die Akte Möckernbrücke nun zu den nassen Fischen stellen könnte. Der Oberkommissar schaute auf das Passfoto, von dem ihn ein ernstes junges Gesicht
     anblickte, und atmete schwer.
    In seinen Händen hielt er einen Dienstausweis der preußischen Polizei.
    Der Brief, den Tretschkow ihm gegeben hatte, war eine Enttäuschung. Bislang hatte Rath nur eines herausbekommen: dass es gar
     kein Brief war. Das Kuvert hatte ein einziges, dünnes Blatt Papier enthalten, darauf ein Durcheinander aus Buchstaben, über
     dem er den ganzen Abend gegrübelt hatte, ohne einen Schritt weitergekommen zu sein. Wenigstens keine kyrillischen Buchstaben.
     Doch verständlicher waren sie darum nicht. Es deutete alles darauf hin, dass es sich um eine verschlüsselte Botschaft handelte,
     aber Rath hatte nicht einmal ansatzweise herausbekommen, mit welchem Schlüssel dieser Text zu knacken wäre. Kein einziger
     Anhaltspunkt, nichts, was einen Sinn ergab, nur Buchstaben in verschiedenen Größen, mal mit mehr, mal mit weniger Abstand
     neben- und untereinander gemalt – ja, die Buchstaben wirkten tatsächlich eher gemalt als geschrieben.
    Über dem Papier war er eingeschlafen und erst mitten in der Nacht wieder aufgewacht, in das Licht blinzelnd, das in seinem
     Zimmer noch brannte. Die ganze rechte Seite seines Kopfes schmerzte von der harten Tischplatte. Notdürftig hatte er sich das
     Gesicht gewaschen und sich ins Bett geschleppt. Kurz bevor er einschlief, war ihm noch eingefallen, dass er sich wieder nicht
     bei Charly gemeldet hatte. Das war auch das Erste, an das er beim Aufwachen dachte.
    Heute Morgen hatte er es ein paar Mal vom Büro aus versucht, nachdem seine Leute schon unterwegs waren und er wieder allein
     war, aber natürlich hatte niemand abgenommen. Greta ging wahrscheinlich arbeiten, und Charly dürfte in irgendeinem Hörsaal
     hocken und Paragraphen büffeln. Egal. Morgen würde sie wieder in der Burg arbeiten.
    Und er würden sie siezen.
    Das Telefon klingelte. Rath war überrascht, als er hörte, wer dran war. Es war die Stimme von Wilhelm Böhm, die da aus dem
     Hörer knarzte.
    »Sie sollten zum Bülowplatz kommen«, sagte Böhm, »ich bin hier bei einem Ihrer Mitarbeiter, Kriminalassistent Stephan Jänicke.«
    »Was soll das? Warum spricht Jänicke nicht selbst mit mir?«
    »Wäre schön, wenn er das noch könnte.« Böhm hörte sich diesmal überhaupt nicht wie eine Bulldogge an. Fast hatte Rath den
     Eindruck, der Dicke seufzte. »Herr Kommissar, ich bin hierher gerufen worden, weil man eine Leiche gefunden hat. Stephan Jänicke
     ist tot.«
    Der Oberkommissar erwartete ihn bereits, als Rath keine zehn Minuten später den Bülowplatz überquerte. Ein großes Aufgebot
     an Uniformierten bewachte die Stelle, an der sie Jänickes Leiche gefunden hatten, eine schäbige Bretterbude. Ernste Gesichter.
     Kein

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