Der nasse Fisch
trat ans Pult, sprach ein paar
Takte und verteilte Papiere mit seinen Anweisungen wie ein Lehrer in der Schule die Aufgabenblätter. Außer der Kripo sollte
auch die Abteilung IA eingespannt werden. Rath konnte sich nicht vorstellen, dass das auf Böhms Mist gewachsen war. Der Polizeipräsident glaubte offensichtlich wirklich an einen politisch motivierten
Mord und wollte das Spitzelsystem der Politischen Polizei einspannen.
Zörgiebel blieb mit Böhm im Konferenzsaal zurück, als die Beamten sich an die Arbeit machten. Draußen warteten schon die Reporter,
die der Polizeipräsident eben noch verteufelt hatte. Diesmal würden sie ihn nicht mit ollen Kamellen belästigen, da konnte
er sicher sein. Ein Polizist, erschossen am Bülowplatz, während die Kommunisten die Maitoten beklagten, das war auch für die
Hauptstadtpresse keine alltägliche Geschichte. Rath registrierte nur wenige feindselige Blicke, und die galten nicht dem Polizeipräsidenten,
sondern ihm. Weinert hatte recht behalten, einige nahmen dem Kommissar seinen gestrigen Auftritt übel.
»Blutrünstige Bande«, hörte er Bruno leise neben sich fluchen. Sie drängten sich schnell an den Journalisten vorbei. Draußen
auf dem Gang wurden Rath und Wolter von den Kollegen umringt. Weil Jänicke ihr Partner gewesen war, hagelte es Zuspruch von
allen Seiten. Einige ließen sich sogar zu Beileidsbekundungen hinreißen, als wäre ein naher Verwandter gestorben. Die meisten
aber beteuerten, »die Schweine zu kriegen, die das getan haben«, oder »mal richtig aufzuräumen mit dem Bolschewikenpack«,
kurz: Sie schworen blutige Rache. Rath hoffte, der alltägliche Trott würde sie bald wieder auf den Teppich bringen.
Er begleitete Wolter in ihr altes Büro. Die beiden ehemaligen Partner des Toten sollten Jänickes Schreibtisch untersuchen.
»Wer hätte gedacht, dass wir so bald wieder zusammenarbeiten würden«, meinte Bruno.
Rath lächelte gequält. »Ich hätte mir schönere Umstände vorstellen können.«
Rath glaubte eigentlich nicht, etwas Neues zu finden. Er kannte Jänickes Protokolle, die waren alle in der Akte Wilczek abgeheftet.
Aber man konnte nie wissen. Der Kriminalassistent hatte seine Schreibarbeiten alle noch im alten Büro erledigt, weil in der
Inspektion A kein Platz war. Roeders altes Büro war das eines Einzelkämpfers, bei ihren morgendlichen Besprechungen mit Henning und Czerwinski hatte einer immer auf der Schreibtischkante Platz
nehmen müssen, und das, obwohl sie schon einen Stuhl aus dem verwaisten Vorzimmer hereingeholt hatten.
Tatsächlich fanden sie nicht viel in den Schubladen. Ein Ordner, in dem die Dienstvorschriften der preußischen Polizei abgeheftet
waren, der Einsatzplan der Aktion Nachtfalke , der Sportteil der Vossischen Zeitung , ein paar Zettel mit handschriftlichen Notizen zum Fall König , ein paar Pornofotos, die Gesichter darauf mit Fettstift eingekringelt – die Abzüge, die sie gemacht hatten, um die Darsteller
zu identifizieren.
»Nicht sehr ergiebig«, meinte Bruno, als der Inhalt sämtlicher Schubladen ausgebreitet auf dem Tisch lag.
Rath nickte. Er musste daran denken, dass Jänicke ebenso neu in der Burg war wie er. Aber irgendetwas fehlte. Etwas, das er
heute Morgen noch in Jänickes Hand gesehen hatte.
»Hatte Stephan nicht ein schwarzes Notizbuch?«, fragte er Bruno. »Wäre interessant zu wissen, was er da eingetragen hat.«
»Stimmt. Aber das hat er immer eingesteckt, das war sein Allerheiligstes, das lag hier nie rum. Dürfte Böhm eingesackt haben.«
»Wir sollten ihm das aber mitteilen.«
Bruno nickte nachdenklich. »Dann lass uns den Krempel mal in eine Kiste packen und dem Kollegen Böhm zuschicken«, sagte er.
»Dazu legen wir einen kleinen Bericht, damit die Mordkommission auch weiß, warum der Kleine Pornos in der Schublade hatte.
Sonst kommen die noch auf dumme Gedanken.«
»Kannst du das aufsetzen?«, fragte Rath. »Ich muss für Böhm noch die Akte Wilczek auf den aktuellen Stand bringen.«
»Meinst du, dass sein Tod was damit zu tun hat?«
Rath zuckte die Achseln. »Wenn, dann habe ich ihn auf dem Gewissen. Ich hab ihn ins Scheunenviertel geschickt.«
Bruno legte ihm seine Hand auf die Schulter. »Komm, mach dir keine Vorwürfe. Unser Beruf ist nun mal gefährlich. Und wer sagt,
dass es nicht doch die Kommunisten waren?«
»Glaubst du das wirklich?«
»Ich würde es ihnen auf jeden Fall zutrauen. Die Rotfront ist verboten, das heißt aber
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