Der nasse Fisch
Uniformierten, schaute die Leiche an und konnte es kaum fassen. Die Verwesung hatte auch im Gesicht
des Toten ihre Spuren hinterlassen, doch waren die Gesichtszüge deutlich genug zu erkennen, dass an der Ähnlichkeit mit den
Fahndungsfotos keinerlei Zweifel bestehen konnte.
Rath musste nicht erst die amtliche Identifizierung abwarten, um zu wissen, dass diese Leiche ihm Ärger einbringen würde.
In dem Grab, das man eigentlich für Stephan Jänicke ausgehoben hatte, lagen die sterblichen Überreste von Alexej Iwanowitsch
Kardakow.
Überreste war in diesem Fall das durchaus passende Wort, dachte Rath, als er eine knappe halbe Stunde später zwei Männer vom ED beobachtete,
die unten in der Grube, direkt neben dem stinkenden Bündel, das von Kardakow übrig geblieben war, Fußabdrücke mit Gips ausgossen.
Ein Dritter untersuchte vorsichtig, mit Hilfe einer Pinzette und einem Stöckchen, die Taschen des modrigen Anzugs. Alle drei
hatten Taschentücher vor Mund und Nase gebunden, sie trugen immer noch ihre Zylinder.
Der leichte Regen hatte inzwischen ganz aufgehört. Die Schwüle wurde immer unerträglicher, der Boden dampfte. Die feuchtwarme
Luft trug den Verwesungsgeruch in Schwaden über die Gräber. Schon hier oben war der Gestank schlimm, dachte Rath, da unten
musste er unerträglich sein.
Die nötigen polizeilichen Arbeiten hatten sogleich beginnen können – Gennat hatte fast alle Spezialisten vor Ort. Die meisten
waren zwar nicht gerade passend angezogen, aber sie hatten sich ohne Murren an die Arbeit gemacht. Nur Dr. Schwartz musste
Gennat anfordern. Und Spurensicherungsgerät aus der Burg kommen lassen. Das war schnell geschehen, zum Alex war es nicht weit.
Der Sarg mit dem Leichnam Stephan Jänickes stand jetzt in der Friedhofskapelle. Solange die Spurensicherung am Grab nicht
beendet war, konnte Jänicke nicht bestattet werden. Wie Zörgiebel das den Eltern erklären wollte, hätte Rath gern gewusst.
Was auch immer derjenige, der den Leichnam in der Grube deponiert hatte, damit bezweckte, eines hatte er in jedem Fall erreicht:
Das feierliche Begräbnis eines in Erfüllung seines Dienstes getöteten Polizisten hatte er nicht nur gestört, er hatte es richtiggehend
gesprengt.
Die Beerdigungsgesellschaft hatte sich schnell zerstreut, dafür hatten die Schupos gesorgt. So behutsam es in dieser Situation
eben möglich war, hatten sie die Trauernden vom Friedhof komplimentiert. Jetzt liefen nur noch Beamte der Inspektionen A und
I, Mordinspektion und Erkennungsdienst, zwischen den Gräbern umher. Mit ihren schwarzen Zylindern wirkten die Männer wieeine orientierungslose Trauergesellschaft. Am Eingang an der Greifswalder Straße passte die Schutzpolizei auf, dass vorerst
kein Passant mehr den Friedhof betrat. Das kleine Tor an der Heinrich-Roller-Straße war sowieso abgeschlossen.
Vor allem Fußspuren suchten die Männer vom ED in der feuchten Erde, und da hatten sie eine Menge zu tun. Da, wo eben noch
die Trauergemeinde dem Sarg gefolgt war, hatten Hunderte von Schuhen den Boden zertrampelt. Zwecklos, da mussten sie gar nicht
erst anfangen. Direkt am Grab sah es auf den ersten Blick auch nicht viel besser aus: Nicht nur die Sargträger und der Pfarrer
hatten sich dort aufgehalten, auch Zörgiebel, Gennats Beamte und die Schupos des ersten Absperrungsringes hatten ihre Fußstapfen
hinterlassen, ganz zu schweigen von einigen Neugierigen und den Pressefotografen. Doch Gennat hatte reaktionsschnell von all
diesen Leuten die Personalien aufnehmen lassen, sodass ein späterer Abgleich der Fußabdrücke zwar mühselig, aber durchaus
möglich war. Die Suche nach der einen Spur, zu der es keinen Vergleich gab, nicht einmal den Stiefel des Friedhofgärtners,
schien also nicht hoffnungslos.
Die Pressefotografen hatten sich zunächst geweigert, ihre Namen preiszugeben, da sie Repressalien befürchteten. Doch die Schupos
hatten keine einzige Kamera sichergestellt. Bloß keinen Skandal provozieren: Zörgiebel selbst hatte die Presse zu Jänickes
Begräbnis eingeladen. Rath glaubte ebenso wenig wie Gennat, dass eine Zeitung das Foto einer verwesenden Leiche ins Blatt
heben würde. Die Bilder, die jetzt fertig entwickelt in den Redaktionen liegen dürften, würden im Giftschrank verschwinden.
Aber zumindest eines würden sie bewirken: Die Berliner Polizei würde sich nicht herausreden können. Die Fotos erzählten jedem
Polizeireporter eine interessante
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