Der nasse Fisch
Herr Kommissar«, begann Hermann Schäffner. »Als der Strom wegging, hab ick mir noch nischt dabei jedacht.« Er schluckte,
bevor er weitersprach. »Ick hab die Sicherung ausjewechselt und mir jewundert, det se jleich wieder durchbrannte. Da bin ick
dann los, durchet Haus, und hab kontrolliert, ob allet in Ordnung is mit der Elektrik. War ja auch, im Vorderhaus wenigstens.
Nur wie ick dann ins Hinterhaus bin, da kam mir det Wasser ja schon auffer Treppe entjejen. Und da hab ick mir schon jedacht,
hier stimmt wat nich, und bin rin.«
»Haben Sie denn einen Schlüssel?«
»Natürlich! Hängen alle immer parat in meine kleine Werkstatt uffen Hof, den hatt’ ick schnell jeholt.«
»Und was haben Sie gesehen?«
»Wollt ick ja erzählen: Also: überall Wasser, mehr als jetze, Margarete hat det meiste ja schon wegjewischt. Und da hör ick
’nen Wasserhahn plätschern und jeh ins Bad. Und da liegt er da auch schon inner Wanne. Mausetot.«
»Wer?«
»Na, der Müller, der hier wohnt …« Er verbesserte sich: »… wohnte …«
»Und wo ist er jetzt?«
»Der Bestatter hat ihn eben abgeholt«, meldete sich einer der Schupos. »Wir wussten ja nicht, dass die Mordkommission noch
rauskommt, ist doch Stunden her, dass es passiert ist.« Er räusperte sich, als sei ihm seine Rechtfertigung peinlich. »Die
Leiche haben wir vorschriftsmäßig von einem Arzt untersuchen lassen, Herr Kommissar. Als der den Tod durch Stromschlag bestätigte,
sahen wir keine Veranlassung mehr …«
»Stromschlag?«
Der Schupo zeigte auf einen elektrischen Haartrockner, der auf einem Holzschemel lag. »Das hier lag in der Wanne …«
»Ick hab den Stecker jezogen«, erklärte Schäffner, der Raths fragenden Blick bemerkte, »gleich als ick die Bescherung jesehen
hab. Ick hab auch sofort det Wasser abjedreht, die Wanne lief ja schon über.«
Jetzt war die Wanne leer, nur ein Schmutzrand zeugte davon, dass Herr Müller/Selenskij sie gelegentlich benutzt hatte.
»Wenn einem so ein Gerät ins Wasser fällt, daran kann man also sterben?«, fragte Rath.
»Moderne Zeiten, moderne Unfälle«, meinte der zweite Schupo achselzuckend.
»Un ick hab ihm wohl noch ’nen zweiten Schlag versetzt, als ick die Sicherung ausjewechselt hab«, jammerte Schäffner, »aber
det konnt’ ick ja nich wissen!«
»Nun machen Sie sich mal keine Vorwürfe, guter Mann! Darüber haben wir doch gesprochen«, tröstete ihn der Schupo. »Schon den
ersten Stromschlag hat der arme Kerl nicht überlebt.«
»Ist das nicht etwas ungewöhnlich?«, fragte Rath.
»Was?«, fragte der Schupo. Alle drei schauten Rath fragend an. Irgendwie bekam er den Eindruck, Schäffner und die Schupos
seien alte Bekannte. Wäre kein Wunder, das 106. Polizeirevier lag ebenfalls am Luisenufer, nur ein paar Häuser weiter.
»Dass ein Mann so einen elektrischen Haartrockner benutzt«, fuhr Rath fort. »Ist das nicht etwas für Frauen?«
»Ick hab Herrn Müller janz jut jekannt«, sagte Schäffner eilig, »der hat so ’n Ding schon immer benutzt. Seit et so wat jibt.
Aber nich, dass Sie denken, der wär vom anderen Ufer. Der wollte den Frauen imponieren, manche brauchen det eben. Der wollte
immer schick sein.«
Schick? Rath hatte Selenskij anders in Erinnerung. Auch der Schmutzrand in der Badewanne sprach eine andere Sprache.
»Sie haben ihn also ganz gut gekannt?«, fragte er. »Dann wussten Sie also auch, dass Herr Müller gar nicht Müller hieß, sondern Selenskij? Und dass er Russe war?«
Schäffner starrte ihn mit großen Augen an.
»Wie? Wat soll’n der Blödsinn?«
»Er ist sogar unter dem Namen Selenskij unter dieser Adresse gemeldet, das müssten Sie als Hauswart doch wissen!«
Unsicher schaute Schäffner die beiden Schupos an.
»Wat will euer Kollege denn von mir?«, fragte er. »Man darf doch wohl noch seine Mieter kennen, wa!«
»Ich würde mich mit Ihnen gern mal unter vier Augen unterhalten, Herr Schäffner«, sagte Rath. »Sollen wir in Ihre Wohnung
gehen? Oder kommen Sie lieber mit aufs Präsidium?«
Hermann Schäffner blieb lieber in seiner Wohnung.
Er führte Rath nicht in das Wohnzimmer mit den gelben Sesselmonstern. Sie saßen in der Küche, auf harten Stühlen. Von seinem
Platz aus konnte Rath den Hof im Blick halten. Die Schupos waren draußen geblieben, ebenso Margarete Schäffner. Er hatte ein
paar Leute von der Spurensicherung angefordert und der Portiersfrau verboten, das übergelaufene Wannenwasser weiter in den
Eimer zu
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