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Der nasse Fisch

Der nasse Fisch

Titel: Der nasse Fisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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eine Frauenstimme durchs Treppenhaus.
    »Nikita?«
    Die Stimme kam von oben. Gräf überlegte noch, ob er sich übers Geländer beugen und nachschauen sollte, wer da oben gerufen,
     wer den Russen erwartet hatte, da war plötzlich ein Knacken und Krachen zu hören wie von brechendem Holz, gleich darauf ein
     kurzer, gellender Schrei und ein dumpfes Poltern. Es polterte noch einmal, und der Schrei erstarb, als habe man ihm die Luft
     entzogen. Und dann noch ein Poltern, als ein schwerer Körper direkt vor Gräf hart auf den Handlauf schlug, Finger umklammerten
     ein herausgebrochenes Stück Geländer, als könnten sie dort noch Halt finden. Gräf hörte das unangenehme Geräusch brechender
     Knochen, bevor der Körper abprallte und weiter in die Tiefe stürzte, Arme und Beine in unnatürlichen Verrenkungen herumschlackernd.
     Ein letzter dumpfer Aufprall, und dann war es still.
    Der Kriminalassistent stand da wie vom Schlag gerührt, die Pistole immer noch schussbereit in der Hand. Er stürzte ans Geländer
     und schaute nach unten. Auf dem hellen Steinboden lag ein kräftiger Mann in einem dunklen Anzug, Arme und Beine seltsam verdreht.
     Fast sah es aus wie ein Hakenkreuz. Unter dem schwarzenKörper sickerte leuchtend rot ein dünnes Rinnsal Blut hervor, das sich schnell ausbreitete und immer dicker wurde.
    Der Kriminalassistent steckte die Pistole wieder ein und stolperte die Treppe hinunter.
    Der Mann lag bäuchlings in der größer werdenden Blutlache, neben ihm das herausgebrochene Geländerstück. Gräf beugte sich
     hinunter und drehte den Kopf zur Seite. Eine Narbe zog sich quer über die linke Wange. Kein Zweifel, das war Fallin.
    Das Knarzen der Treppenstufen ließ Gräf aufschauen. Eine zierliche Frau schaute auf den Toten und das Blut. Weit aufgerissene
     Augen, bleich wie ein Bettlaken.
    »Ist er tot?«
    Gräfs Fingerspitzen suchten an der Halsschlagader vergeblich nach dem Puls. Er nickte.
    »Mein Gott!« Die Frau stand schon an der Haustür. »Bleiben Sie hier! Ich hole die Polizei!«
    »Warten Sie doch! Halt«, rief Gräf ihr hinterher, »ich bin die Polizei!« Aber da war sie längst auf der Straße.
    Na ja, konnte nicht schaden, wenn sie mit ein paar Schupos zurückkäme. So lange könnte er bei der Leiche bleiben.
    Er horchte in die Stille. Alles blieb ruhig. Hatte denn niemand im Haus etwas gehört? Niemand außer der jungen Frau?
    Im Dunkel des Treppenhauses hatte er ihr Gesicht nicht genau erkennen können, aber in ihrem Äußeren und in ihrer ganzen Art
     hatte sie ihn fast ein wenig an Charly erinnert. Nur dass diese Frau blond war. Und dass Charly niemals blaue Hüte tragen
     würde.
    Rath war alles in allem fast eine halbe Stunde fort gewesen, als er endlich wieder in der Yorckstraße ankam. Der grüne Opel
     stand immer noch im Schatten eines Baumes am Straßenrand. Genau so, wie er ihn zurückgelassen hatte. Genau so, bis auf ein
     Detail.
    Der Wagen war leer.
    Zunächst vermutete Rath, Gräf habe sich gerade nach unten gebeugt, weil ihm sein Notizblock hinuntergefallen war oder so etwas,
     aber als er näher kam, sah er seinen ersten Eindruck bestätigt.
    Gräf saß nicht mehr im Auto!
    Wo zum Teufel trieb sich der Kriminalassistent herum? Hatte er tatsächlich Druck auf der Blase verspürt und es nicht mehr
     aushalten können? War er in der nächsten Kneipe auf dem Klo verschwunden und machte gerade ein erleichtertes Gesicht?
    Er hatte den Opel nicht einmal abgeschlossen. Rath schüttelte den Kopf und setzte sich wieder auf den Fahrersitz. Einen Zettel,
     irgendeine Botschaft, suchte er vergebens. Er riss eine Schachtel Overstolz auf und steckte sich eine Zigarette an. Na, der
     Knabe würde wohl bald wieder auftauchen. Hoffentlich hatte er eine gute Erklärung parat. Und hoffentlich war ihnen Fallin
     nicht durch die Lappen gegangen.
    Fallin! Natürlich! Es gab noch eine andere Möglichkeit: Nikita Fallin war zurückgekommen!
    Hoffentlich war dem Kleinen nichts passiert. Diesem vierschrötigen Russen traute Rath alles zu. Vor allem jetzt, wo er Fallins
     Vergangenheit und besondere Fertigkeiten kannte.
    Er überprüfte seine Mauser, zog den Hut etwas tiefer in die Stirn und stieg aus dem Wagen. Langsam ging er zum Haus hinüber,
     rauchend, den Kopf nach unten. Falls Fallin aus dem Fenster schaute, sollte er nicht unbedingt ein bekanntes Gesicht aus dem Kakadu wiedererkennen.
    Bevor Rath die Haustür öffnete, trat er die Zigarette aus.
    Er hatte einiges erwartet, aber nicht

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