Der nasse Fisch
das.
Unten am Treppenabsatz hockte Kriminalassistent Reinhold Gräf über der Leiche eines Mannes, dessen Narbengesicht ihn zweifelsfrei
als Nikita Fallin auswies.
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E s war kurz nach vier, als er Gräf im Präsidium absetzte. Immerhin, die Observierung hätte länger gedauert, ihre Ablösung
an der Yorckstraße hatte Gennat erst für achtzehn Uhr vorgesehen.Rath hatte vom nächstbesten Fernsprecher aus die Burg alarmiert und dann erst das 103. Revier in der Möckernstraße. Er wollte
sich nicht wieder vorwerfen lassen, dem Inspektionsleiter zu wenig Informationen gegeben zu haben. Sollte der Buddha doch
selbst mit dem Mordauto rauskommen, wenn er sich überzeugen wollte!
Und er kam. Gennat war schon lange nicht mehr rausgefahren. Sämtlichen Beamten am Tatort war klar, dass es etwas heißen musste,
wenn der Buddha mal wieder persönlich aus dem Mordauto stieg.
Diesmal war es hundertprozentig klar, dass es sich um Mord handelte. Gräf hatte erzählt, wie er den Sturz erlebt hatte, und
das Geländerstück, das unten neben der Leiche lag, wies eindeutige Sägespuren auf. Der Verdacht, dass jemand das Treppengeländer
in eine tödliche Falle verwandelt hatte, bestätigte sich, als die Spurensicherung den vierten Stock unter die Lupe nahm. Direkt
gegenüber von Fallins Wohnungstür, vor der noch sein Koffer stand, fehlte ein großes Stück. Sauber angesägt. Wahrscheinlich,
so hatte Gräf rekonstruiert, und Rath pflichtete ihm bei, hatte der Ruf der Frau den Russen überhaupt erst an das Geländer
gelockt. Er hatte sich hinübergelehnt, um zu sehen, wer da nach ihm gerufen hatte, und dann war er in die Tiefe gestürzt.
Welche Frau da gerufen hatte und dass sie das nicht zufällig getan, sondern das Narbengesicht bewusst in die Falle gelockt
hatte, das war zunächst nur ein Verdacht. Doch der erhärtete sich, als klar wurde, dass die Frau, die Gräf gesehen hatte,
nicht wie versprochen die Polizei geholt hatte. Ganz im Gegenteil: Sie war vor der Polizei geflüchtet.
Gräf, der untröstlich über seinen Fauxpas war, hatte ihr Gesicht im dunklen Treppenhaus nicht genau erkannt, ihm war nur ihr
blauer Hut aufgefallen. Rath konnte sich denken, wer dem Kriminalassistenten da über den Weg gelaufen war, doch er behielt
es für sich. Nicht nur, weil er sich nicht sicher war, ob er selbst vorhin wirklich die Gräfin auf der Großbeerenstraße gesehen
hatte. Er glaubte mittlerweile auch, dass so ein Dreckschwein wie Nikita Fallin einen solchen Tod verdient hatte.
Genau wie Vitali Selenskij. Zwei Schwarzhunderter, die seit über drei Jahren einem skrupellosen Stahlhelmer aus der Hand fraßen.
Die Kardakow und den unglückseligen Boris so bestialisch gefoltert hatten. Bruno Wolters sadistische Helfer.
Nun waren beide tot, und der Gedanke, dass die Gräfin Sorokina als Racheengel auch die Spur des Onkels aufnehmen könnte, erfüllte
Rath insgeheim mit Zufriedenheit.
Wahrscheinlicher aber war, dass sie gar nicht wusste, dass die beiden Schwarzhunderter mit einem preußischen Polizisten unter
einer Decke steckten. Nur er wusste das, nur Gereon Rath.
Nachdem er Gräf am Alex rausgeworfen hatte, fuhr Rath zum Potsdamer Bahnhof. Die Fahrbereitschaft sollte den Wagen erst später
zurückbekommen, er hatte noch einiges zu erledigen. Die in der Burg mussten heute auf ihn verzichten.
Erst einmal ging er in den Bahnhof und öffnete sein Schließfach. Was für ein Sammelsurium sich hier inzwischen angehäuft hatte!
Ein Notizbuch, eine Pistole, ein Foto alter Weltkriegskameraden, ein aus der Wand gerissenes Telefon. Und ein Kokainbriefchen.
In diesem Schließfach lagen seine schmutzigen Geheimnisse.
Er nahm das Kokain und steckte es ein. Jetzt brauchte er den Wachmacher. Die Schlaflosigkeit der vergangenen Tage forderte
immer gnadenloser ihren Tribut. Manchmal wusste er nicht mehr, ob er wachte oder träumte. Stand da hinten wirklich ein Mensch?
Oder war es nur ein Schatten? Er musste aufpassen, dass er keine Gespenster sah.
Bevor er zum Auto zurückging, schloss er sich in einer Kabine der Bahnhofstoilette ein. Er hatte nicht viel Übung in der Einnahme
von Kokain. Die Nacht im Venuskeller, er versuchte sich zu erinnern. Der spendable Oppenberg. Die nymphomanische Vivian. Rath wusste, er brauchte eine halbwegs
glatte Unterlage und ein Röhrchen. Also nahm er seinen Dienstausweis und einen Zwanzigmarkschein. Werner von Siemens schaute
streng, beinah vorwurfsvoll, bevor
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