Der nasse Fisch
verbieten.
Kurz nach Dienstbeginn wurden die Kriminalbeamten aller Abteilungen zusammengetrommelt. Polizeipräsident Zörgiebel persönlich
begrüßte sie im großen Konferenzsaal über dem Hauptportal. Dörrzwiebel hatte sich seit seinen Kölner Zeiten kaum verändert.
Ein zu Fettleibigkeit neigender ehemaliger Gewerkschaftssekretär, der mit der Leitung der Polizei betraut worden war, weil
die Sozis an der Macht waren und nun einmal Ämter zu besetzen hatten. Ein Politiker, kein Kriminalist, auch nach all den Jahren
als Polizeiführer nicht. Es geschah selten, dass sie ihn zu Gesicht bekamen. Normalerweise schickte er seinen Vize zu solchen
Versammlungen. Dr. Bernhard Weiß war der Fachmann an der Spitze der Berliner Polizei, ein überragender Kriminalist. Zu perfekt,
um bei den Kollegen beliebt zu sein, aber allseits respektiert. Damit hatte er Zörgiebel einiges voraus. Weiß hatte deutliche
Bedenken geäußert, das Demonstrationsverbot am ersten Mai aufrechtzuerhalten, doch Zörgiebel hatte es mit aller Gewalt durchsetzen
wollen. Mit den bekannten Folgen.
Nachdem der Polizeichef den versammelten Kriminalbeamten für ihren Einsatz »bei den kommunistischen Ausschreitungen« gedankt
hatte, wechselte er schnell das Thema. Zörgiebel war Politiker, er wusste, dass die Kriminalpolizei sich nicht gerne für Politisches
einspannen ließ. Um diese Dinge, so die verbreitete Auffassung, sollte sich die Abteilung IA lieber allein kümmern. Und so
nickten die meisten Kollegen zufrieden, als der Polizeipräsident erklärte, er habe sie aus einem anderen Grund zusammenrufen
lassen: Der aktuelle ungeklärte Todesfall erfordere die Zusammenarbeit aller, seine baldige Aufklärung sei überaus wichtig,
um den Berlinern zu zeigen, dass die Polizei weiterhin das Heft in der Hand halte und für eine sichere Stadt sorge. Zörgiebel
appellierte an das Zusammengehörigkeitsgefühl der Kriminalpolizei, alle Inspektionen der Abteilung IV seien dazu aufgefordert,
den Mordermittlern unter die Arme zu greifen. Natürlich solle man darüber die tägliche Arbeit nicht vernachlässigen. »Sie
kommen doch rum in der Stadt, meine Herren«, endete er, »nutzen Sie Ihre Kontakte!«
Dann trat Oberkommissar Böhm ans Rednerpult. Rath hätte am liebsten mit Papierkügelchen nach ihm geschossen, wie damals in
der Schule. Mit nassen Papierkügelchen, versteht sich. Er versuchte, Charlotte Ritter dort oben irgendwo zu entdecken, doch sie war nicht da. Da
war überhaupt keine Frau, da oben standen nur Männer. Irgendwer in der Inspektion A musste ja noch die Arbeit machen, dachte
er. Wenn die Herren alle im großen Saal stehen und damit beschäftigt sind, wichtig auszusehen. Buddha Ernst Gennat stand auch
nicht auf dem Podium. Rath wusste, dass der Chef der Mordinspektion die stille Ermittlungsarbeit solchen lauten Auftritten
vorzog.
Und es wurde in der Tat ein lauter Auftritt.
»Meine Herren«, bellte Böhms Stimme durch den Raum, dass die Kollegen in der ersten Reihe zusammenzuckten, »ich darf mich
für Ihr zahlreiches Erscheinen bedanken. Wir ermitteln zurzeit noch in alle Richtungen. Unser größtes Problem ist, dass der
Tote noch nicht identifiziert ist. Vordringlichste Aufgabe ist es, die Identität des toten Mannes festzustellen, den wir im
Landwehrkanal gefunden haben.«
Der Oberkommissar hielt ein Foto in die Höhe. Das aus den Zeitungen.
»Dieses Bild wurde am Wochenende in allen großen Berliner Tageszeitungen veröffentlicht. Wir haben einige Rückläufe aus dem
Berliner Publikum, leider keine verwertbaren. Bislang haben sich nur die üblichen Wichtigtuer und Denunzianten gemeldet. Kein
Mensch scheint diesen Mann zu kennen. Oder kennen zu wollen. Wir halten es inzwischen für möglich, dass er gar nicht aus Berlin
kommt. Dass er einem Gewaltverbrechen zum Opfer fiel, steht außer Frage. Seine schweren Verletzungen können nichtvon dem Autounfall stammen. Lassen Sie mich zum Ergebnis der Obduktion kommen …«
Das meiste von dem, was der Mordermittler runterbetete, hatte Rath schon im Leichenschauhaus gehört. Viel Neues hatten sie
übers Wochenende nicht herausbekommen. Noch während Böhm die bisherigen mageren Ermittlungsergebnisse darlegte, gingen zwei
Kriminalassistenten herum und verteilten Fotos. Die gleichen, die in den Zeitungen zu sehen waren. Doch die Abzüge hier waren
um einiges schärfer als der schlechte Zeitungsdruck. Rath konnte jetzt sehen, dass dem Russen
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