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Der nasse Fisch

Der nasse Fisch

Titel: Der nasse Fisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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Haustür stand ein schwarzer Ford am Straßenrand. Modell
     A. Brunos Ford. Am Steuer saß ein junger Mann, den Rath nicht kannte. Hatte Bruno einen Sohn? Ihm fiel auf, dass er noch nicht
     viel über den Kollegen wusste. Bruno stieg ein, und der Wagen fuhr los, machte eine rasante Kehrtwende und fuhr in Richtung
     Tauentzien davon. Nach Friedenau ging’s in die andere Richtung, Bruno wollte wohl noch nicht nach Hause.
    Unwillkürlich klappte er den Mantelkragen hoch, als er am Schlesischen Bahnhof aus der Stadtbahn stieg. Er hoffte, dass man
     ihm den Bullen nicht gleich ansah. Eine Polizeimarke war hier keine gute Empfehlung. Seine Mauser trug er heute geladen im
     Schulterholster unter dem Jackett. Ihr Gewicht beruhigte ihn. In dieser Gegend wusste man nie, was passierte.
    Genau das machte den Reiz für viele Nachtschwärmer aus: eineNacht im Stralauer Viertel, neben mehr oder weniger verwegenen Verbrechern und schönen Frauen an der Bar sitzen, ihnen vom
     Nebentisch verstohlene Blicke zuwerfen – das war spannender, als im mondänen Westen unterwegs zu sein. Auf dem Ku’damm lief
     man höchstens Gefahr, von einer SA-Horde verprügelt zu werden, der man nicht arisch genug aussah, aber hier im Osten konnte
     man mit etwas Glück sogar eine Schießerei unter echten Ganoven erleben.
    Es wurde schon dunkel, als Rath auf den Küstriner Platz trat. Selbst die Straßenbeleuchtung schien hier im Osten schummriger
     zu sein als in der City oder in Charlottenburg. Fast wirkte es so, als würden sich die Straßenlaternen schämen für das, was
     sie da beleuchteten. Die Neonbuchstaben an der Fassade des Plaza warfen mehr Licht in die Dunkelheit. Scheinwerfer tauchten sämtliche drei Stockwerke bis hinauf zur Dachbalustrade und zur
     alten Bahnhofsuhr in Licht. Das Plaza strahlte wie eine kleine, helle Insel in diesem düsteren Viertel.
    Vor dem Eingang hielten immer wieder Taxen und spuckten gut gekleidete Besucher aus, abenteuerlustige Touristen, die den Weg
     vom Westen hierher gefunden hatten. Die Leute aus dem Viertel, die sich etwas Geld für einen Varietébesuch zusammengespart
     hatten, kamen zu Fuß oder mit dem Fahrrad. Rath mischte sich unter das bunt zusammengewürfelte Volk und ließ sich mit der
     Menschenmenge an den Kassen vorbei durch Foyer und Garderobe in den riesigen Zuschauersaal treiben.
    Eindrucksvoll, was Jules Marx aus der alten Bahnhofshalle gemacht hatte. Ein riesiger Saal öffnete sich über Rath, keine einzige
     Ecke, nur sanfte Rundungen. Fast dreitausend Sitzplätze hatte das Plaza , und es sah so aus, als würden sie heute Abend fast alle gebraucht. Mehr als tausend Leute waren bestimmt schon im Saal,
     in zehn Minuten sollte das Programm beginnen. Das Orchester spielte, war aber durch das Stimmengewirr der Zuschauer, die ihre
     Plätze suchten, kaum zu hören.
    Rath schaute sich um. Wie er Marlow unter dreitausend Leuten auffallen sollte, blieb ihm ein Rätsel. Er setzte sich auf seinen
     Platzund blätterte im Programmheft, dabei umständlich und unübersehbar mit einem Foto von Kardakow spielend.
    »Tritt der auch auf?«, fragte seine Sitznachbarin, eine dünne Frau mit Brille, die aussah wie eine Blockflötenlehrerin.
    Rath murmelte etwas von einem Bekannten. Die Frau wurde rot und wendete sich von ihm ab. Er konnte ihr ansehen, was sie dachte.
     Der andere Sitznachbar zeigte überhaupt kein Interesse. Wahrscheinlich hatte er die kurze Unterhaltung mit der Blockflötenlehrerin
     mitbekommen. Verärgert steckte Rath das Bild ein. Inzwischen war das Licht ausgegangen. Ein Zauberer, der aussah wie ein Medizinmann,
     trat als Erstes auf, dann Lasso-Akrobaten in Cowboykostümen, ein Messerwerfer mit Indianerschmuck. Als dann auch noch ein
     Cowboy sein Klagelied von der Einsamkeit in der Prärie anstimmte, hätte Rath gern mit Tomaten geworfen. Leider hatte er keine
     dabei.
    Warum saß er eigentlich hier? Er wollte Marlow! Stattdessen schaute er sich ein Varietéprogramm an, obwohl er schon als Kind
     nicht gern in den Zirkus gegangen war. Er biss die Zähne zusammen und hielt bis zur Pause durch. Während die anderen schon
     ins Foyer gingen, blieb er noch eine Weile an seinem Platz stehen und schaute sich um. Die Leute drängten sich fluchend an
     ihm vorbei. Im Gewühl ringsherum fiel ihm niemand auf. Er wusste nicht, was er suchte, er wusste ja nicht einmal, wie Marlow
     aussah. Was erwartete er? Einen Gangsterboss wie Al Capone? Irgendeinen feisten Mann im weißen Anzug, flankiert von

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