Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der nasse Fisch

Der nasse Fisch

Titel: Der nasse Fisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
Vom Netzwerk:
Muster, irgendeine Verbindung, eine räumliche Nähe oder sonst einen Zusammenhang. Doch die Nadeln schienen wahllos
     über die Stadt verteilt zu sein. Die Spur von Boris und die von Kardakow, sie kreuzten sich nur an einer Stelle: in der Nürnberger
     Straße 28. Seit Jahren schon hatte Rath die Angewohnheit, wichtige Orte einer Ermittlung auf einem Stadtplan zu markieren,
     aber seine eigene Wohnung hatte er in all den Jahren noch nie mit einer Nadel versehen müssen. Einmal ist immer das erste
     Mal, dachte er.
    Es klopfte. Weinert war bestimmt noch nicht zurück. Ob die Behnke ihn zu dem Besuch in die Küche bitten wollte? Rath öffnete
     eine Tür des Kleiderschranks. Die gotischen Schnitzereien verdeckten die Fotos an der Wand. Und einen kleinen Teil des Stadtplans.
     »Ja?«, sagte er. Die Zimmertür öffnete sich.
    »Überraschung«, sagte eine Männerstimme.
    Rath war tatsächlich überrascht. »Du?«, fragte er.
    In der Tür stand Bruno Wolter. Der Onkel lachte.
    »Na, mach den Mund wieder zu«, sagte er. »Ich dachte, wenn ich Elisabeth einen Besuch abstatte, muss ich auch mal nachschauen,
     ob mein Kollege zu Hause ist. Wollte doch mal sehen, wie du dich so eingerichtet hast. Nicht dass es am Ende Beschwerden gibt.«
    Eigentlich hätte Rath mit einem solchen Besuch rechnen können. Bruno hatte ihm die Wohnung von Elisabeth Behnkevermittelt. Weil er die Witwe kannte. War zusammen mit ihrem verstorbenen Mann im Krieg gewesen. Hatte er der jungen Witwe
     seinerzeit nicht sogar die Todesnachricht überbracht? Rath hatte diese Geschichten ganz verdrängt – wie alles, was mit dem
     Krieg zusammenhing.
    »Ich hab dein Auto gar nicht gesehen«, sagte Rath. »Du hast E… – du hast Frau Behnke besucht?«
    Wolter nickte und trat einen Schritt ins Zimmer. Er war bereits im Mantel, hielt den Hut schon in der Hand. »Der Todestag
     ihres Mannes«, sagte er. »Da bringe ich ihr jedes Jahr Blumen. Helmut Behnke war der beste Kamerad, den man sich vorstellen
     konnte.«
    Rath schluckte. Deswegen hatte sie sich letzte Nacht betrunken! Weil ihr Mann vor zwölf Jahren gefallen war! Sie war betrunken
     gewesen und hatte ein wenig menschliche Wärme gesucht. Und zufällig war er da gerade durch die Tür spaziert.
    Der Onkel schaute sich um und nickte anerkennend. »Ganz gemütlich«, sagte er. Dann blieb sein Blick an dem Stadtplan hängen.
     »Nur die Ecke da sieht fast aus wie ein Kommissariat.«
    »Oder wie ein Beichtstuhl«, meinte Rath. Er hielt den Kleiderschrank für wesentlich auffälliger als den Stadtplan. Der hatte
     Bruno auch nicht zu interessieren.
    »Hat der Russe da reingetreten?« Wolter zeigte auf die kaputte Seitenwand des Schrankes.
    Sieh an! Elisabeth hatte wohl geplaudert. Rath nickte. »Irgend so ein Besoffener.«
    »Und? Ist er nochmal aufgekreuzt?«
    Ja, als Leiche , dachte Rath, schüttelte aber den Kopf.
    »Ich hab Elisabeth ja damals gleich gesagt, sie soll keinen Russen in die Wohnung nehmen. Die machen nur Ärger. Ganz gleich,
     ob Bolschewik oder Zarist oder sonst was.« Er schaute Rath plötzlich fest in die Augen, wie bei einem Verhör. »Deswegen habe
     ich ihr als neuen Mieter auch einen Kollegen empfohlen. Der macht ihr hoffentlich keinen Ärger.« Es klang so, als ob Elisabeth
     Behnke noch mehr erzählt hatte. Fragte sich nur was? Und wie viel?
    Rath wechselte lieber das Thema. »Möchtest du was trinken?«,fragte er und machte einen Schritt zur Tür hin. Er wollte Bruno aus seinem Zimmer herausbekommen, bevor der einen noch neugierigeren
     Blick auf den Stadtplan werfen konnte. »Vielleicht sollten wir in die Küche gehen, da …«
    Wolter hob abwehrend die Hände. »Mach dir meinetwegen keine Umstände, ich bin vorhin schon bestens bewirtet worden. Bin sowieso
     auf dem Sprung, wollte nur mal reinschauen.« Er überlegte kurz. »Vielleicht können wir heute Abend noch ein Bierchen zusammen
     trinken? Bei mir in Friedenau? Emmi kann uns was zu essen machen.«
    »Sehr nett, danke. Aber tut mir leid, heute Abend geht’s nicht …« Rath zuckte entschuldigend die Achseln. »Bin im Varieté.«
    »Verstehe«, sagte Wolter, und ein leichtes Grinsen zog über sein Gesicht. »Wird auch Zeit, dass du mal aus deinem Beichtstuhlgefängnis
     rauskommst. Ich hoffe, sie ist hübsch!«
    Draußen auf der Straße hupte ein Auto.
    »Ich muss los«, meinte der Onkel. Er setzte seinen Hut auf. »Also, dann sehen wir uns morgen.«
    Rath ging zum Fenster und lugte vorsichtig am Vorhang vorbei. Vor der

Weitere Kostenlose Bücher