Der Nautilus-Plan
stand.
Dann kam es zum nächsten beunruhigenden Vorfall: Er wählte die Nummer von Sarahs Handy, und eine Männerstimme meldete sich.
»Ja?« Der Mann hatte einen amerikanischen Akzent.
Simon zog die Augenbrauen hoch. »Wer sind Sie?«
»Ein Freund. Mit wem spreche ich?«
»Sagen Sie Sarah, es ist Simon.«
»Augenblick.« Ein lautes Scheppern, als das Telefon abgelegt wurde. Dann kam die Stimme zurück. »Sie kann gerade nicht ans Telefon kommen. Sie ruft Sie zurück. Geben Sie mir Ihre Nummer.«
Das reichte. Simon drückte die Trenntaste. Sarah wusste seine Nummer. Das hieß, ein Fremder hatte ihr Handy. Simon sprang in seinen Wagen und fuhr zu ihrem Hotel, das von einem Heer von Flics abgeriegelt war. Er musste seinen MI6-Ausweis zeigen, damit ihm einer der Polizisten sagte, dass im Zimmer eines amerikanisches Ehepaares – Asher Flores und Sarah Walker – ein ermordeter Tourist entdeckt worden war.
Aber hatte Sarah nicht gesagt, Asher sei gar nicht in Paris? Was hatte das zu bedeuten? Inzwischen kämpfte sich Simon in nördlicher Richtung durch den dichten Verkehr. Aber er schenkte dem aufgebrachten Hupen und Schimpfen der anderen Autofahrer keine Beachtung. Schließlich erreichte er die Telefonzelle an der Kreuzung von Rue de Bassano und Champs-Elysées. Und tatsächlich waren dort ein Dutzend Nachrichten. Nur von Sarah war keine dabei.
Vielleicht war sie aufgehalten worden. Vielleicht … Er schüttelte den Kopf. Das war doch alles Unsinn. Ihr Handy befand sich in den Händen eines Fremden. In ihrem Hotelzimmer war ein ermordeter Tourist gefunden worden. Und Asher war in Paris – oder war es zumindest gewesen.
Es war auf jeden Fall etwas passiert, und mit Sicherheit nichts Gutes.
Er kaufte eine International Herald Tribune und setzte sich vor dem Chez Paul an einen Tisch, von dem er die Telefonzelle beobachten konnte. Er zwang sich, etwas zu essen, während er jeden, der vorbeikam, scharf ins Auge fasste. Als er fertig gegessen hatte, schlug er die Zeitung auf. Vorherrschendes Thema war das G8-Gipfeltreffen am kommenden Montag. Furchtbar langweilig. Immer wieder unauffällig aufblickend, blätterte er weiter und las, ohne etwas zu behalten. Doch dann sprang ihm ganz hinten eine kurze Meldung über Viera Jozefs Tod in die Augen, die wieder tiefe Trauer in ihm aufsteigen ließ.
Diesmal war dem Artikel kein Foto beigefügt, und es war eigentlich nur ein Aufguss der Meldung vom Vortag, mit einem Kommentar der lokalen Polizei und ein paar herzzerreißenden Zitaten ihres Bruders. Die Erinnerung an den tragischen Zwischenfall schnürte ihm die Brust zusammen. Das Leben war nicht nur unmöglich zu verstehen, sondern auch viel zu vergänglich.
Zu seinem Erstaunen schoss ihm plötzlich eine Szene aus seiner Kindheit durch den Kopf. Seine Mutter hatte ihn fürsorglich an die Hand genommen, und Sir Robert stand in einem dreiteiligen Anzug neben ihnen und hielt im prasselnden Regen schützend einen Regenschirm über sie. Damals hatte er sich geborgen gefühlt. Aber vielleicht war es nur einem Kind möglich, ein solches Gefühl der Geborgenheit zu empfinden.
Er blätterte weiter in der Zeitung, bis ihn ein Foto von Sarah bestürzt innehalten ließ. Es war einer kurzen Meldung über den Mord an Tish Childs in London beigefügt. Die Frau auf dem Foto wurde jedoch als Elizabeth Sansborough bezeichnet, und es wurde ein Polizeisprecher zitiert, dass in einer Durchfahrt in unmittelbarer Nähe des Tatorts eine Pistole gefunden worden sei, die auf eine Elizabeth Sansborough aus Santa Barbara in Kalifornien registriert sei.
Simon runzelte die Stirn. Lizs Foto, Lizs Schusswaffe. Trotzdem konnte er sich nicht vorstellen, dass Liz etwas mit Tishs Ermordung zu tun haben könnte. Deshalb gab es dafür nur eine logische Erklärung: Tishs wahrer Mörder musste ihr die Pistole untergeschoben haben. Wenn allerdings stimmte, was Sarah behauptete – dass sie die Aufzeichnungen des Carnivore auf eigene Faust und aus privaten Gründen suchte –, stellte sich die Frage, weshalb der Mörder die Tat Liz anzulasten versuchte?
Simon setzte sich zurück, um nachzudenken. Die Schlüsse, zu denen er gelangte, gefielen ihm nicht. Wenn die englische oder französische Polizei Sarah fasste, täte es nichts zur Sache, wie ihr richtiger Name war, zumindest vorerst nicht. Sie sah genau wie die Frau auf dem Foto aus. Sie war zum Zeitpunkt des Mordes in London gewesen. Und in Anbetracht der beeindruckenden Möglichkeiten des Erpressers gäbe
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