Der Nautilus-Plan
kurzes helles Haar, das ihr ovales Gesicht umrahmte. Eine Lesebrille war in ihr Haar hoch geschoben.
»Du wirst Augen machen, was isch für disch ’abe!«, rief sie, als ihr Simon die Hand schüttelte.
»Quést-ce que c’est?«
»Spreschen wir lieber auf Englisch. Um meine Fremdsprachenkenntnisse etwas aufzufrischen. Eines Tages isch werde sogar eure barbarische Zunge noch richtig gut be’errschen. Komm.« Sie winkte ihn durch das Durcheinander eines von einer Künstlerin geführten Betriebs nach hinten. Sie betrieb zwar auch ein Fotogeschäft, inklusive Entwicklungs-Service, aber ihr Herz lag bei ihren eigenen Fotos. An den dramatischen schwarzweißen Landschaftsaufnahmen und den Charakterporträts an den Wänden war das erkennbar – sozusagen ihr eigener Ausstellungsraum.
Eine Tür in der Rückwand führte in ihr Arbeitszimmer. Es war schmucklos, mit Schränken und Vitrinen voller Flaschen mit Entwicklerflüssigkeit. Über eine Ecke waren mehrere Drähte gespannt, an denen Filme und Abzüge zum Trocknen hingen. Es roch nach Chemikalien.
»Da sind sie.« Sie zog einen Packen Abzüge in die Mitte eines Arbeitstisches. Es waren hauptsächlich 18x24-Vergrößerungen, aber es waren auch drei im Format 40x50 dabei. »Nimm Platz, nimm Platz. Auf den meisten Aufnahmen sind ja lauter Zahlen. Das hier sind die einzigen, die interessant sind.« Sie griff nach den 40x50-Abzügen, von denen jeder einen anderen Teil der Fotowand in de Darmonds Arbeitszimmer zeigte. Der Baron war auf jedem Foto. »Isch ’abe sie sehr groß gemacht, damit du die Gesichter gut sehen kannst. Wer ist dieser Mann? Ganz schön von sisch eingenommen, nischt? Kenne isch ihm?«
»Möglicherweise hast du ihn mal in der Zeitung oder im Fernsehen gesehen. Claude de Darmond.«
Sie dachte kurz nach. »Ach ja, sischer. Jetzt isch erinnere misch. Ein bekannter Bankier. Spielt Polo und ist bei alle wichtige Pferderennen. Baron de Darmond, oui ?« Sie hatte früher für den französischen Nachrichtendienst gearbeitet und Simon bei ihrem letzten – und seinem ersten – Auftrag kennen gelernt. Sie legte den Kopf auf die Seite. »Dann du bist also hinter dem große Baron her?« Sie runzelte die Stirn. »Ach nein. Er ist ja heute tot geworden. Ermordet! Es war im Fernsehen.«
»Ja, das habe ich auch schon gehört.« Simon konnte es kaum erwarten, sich an die Arbeit zu machen. Er setzte sich an den Tisch. »Eigentlich habe ich mir nicht groß etwas davon erwartet, seine Fotos zu fotografieren. Ich kann mir nicht vorstellen, dass unter dieser Ansammlung von Promis etwas Brauchbares zu finden ist. Und hier vermutlich ebenso wenig.« In der Hoffnung, dass er sich täuschte, tippte er auf die restlichen Abzüge.
Sie legte den Kopf auf die Seite. »Das du kannst jemand anderes erzählen, Simon. Sonst du hättest dir nischt diese Mühe gemacht. Ich werde nischt fragen, wann du diese Fotos gemacht hast.«
Er grinste. »Ich bin unberechenbar, weißt du noch? Ich habe nicht immer einen triftigen Grund für das, was ich tue. Frag nur mal meine Chefin.«
»Isch glaube, du warst wieder ein unartiger Junge. Geschäftsunterlagen und Kreditanträge. Iiiih!«
» Merci , Jackie.«
Aus dem Laden ertönte wieder die Glocke. »Nichts als Zahlen.« Schniefend drehte sie sich nach dem Klingeln um. »Dann lasse ich dich mal lieber mit deinem Elend allein. Ciao.«
Sobald sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte, legte Simon die Vergrößerungen mit den Erinnerungsfotos des Barons beiseite und sah die anderen Abzüge durch. Sie zeigten Vertragswerke, detaillierte Marktstudien, Versicherungsnachweise, Gewinn- und Verlustaufstellungen, Darlehens- und Investitionsverläufe, alles in einer ermüdenden Ausführlichkeit, die das Herz jedes Buchhalters hätte höher schlagen lassen.
Eingedenk der Worte des Barons ließ sich Simon davon jedoch nicht entmutigen – de Darmond hatte seinem Mörder nur dann Geld für seinen »Deal« leihen wollen, wenn er die Aufzeichnungen des Carnivore von ihm bekäme. Sobald sich Simon einen groben Überblick verschafft hatte, zog er sich einen Notizblock heran, holte seinen Stift heraus und begann, sich Notizen zu machen.
VIERUNDZWANZIG
Während sich der Abend über die Stadt legte, folgte Liz der Frau in eine urbane Wildnis, wo jeder Quadratmeter bewohnbaren Raums mit Gebäuden bestückt war, die alle so dicht aneinander gedrängt waren wie Gefangene in Erwartung ihrer Exekution. Die Wandflächen entlang der lauten Straßen waren bis in
Weitere Kostenlose Bücher