Der Nautilus-Plan
zertrümmert und ihn und seine Schwestern nach Miami mitgenommen, wo sie in einem der Clubs in Little Havana als »Hostess« arbeitete. Von ihr lernte er, dass man mit schwerer, erniedrigender Arbeit seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten konnte. Mit zwölf machte er die Straßen unsicher und verkehrte mit Drogensüchtigen und Nutten und Immigranten. Er hasste den Schmutz und den Hunger, aber immer, wenn er nach Miami Beach kam, wo die Reichen in Saus und Braus lebten und sich vom Rest der Welt bedienen ließen, lösten sich seine Probleme in Luft auf. Vor Erregung begann dann sein Puls immer schneller zu schlagen, denn dort sah er auf eine unvergleichliche und faszinierende Weise Wohlstand zur Schau gestellt.
Weil er kein Optimist war, konnte Malko auch nicht risikobereit sein. Dennoch sehnte er sich nach der Welt der extrem Reichen. Er hatte sogar das Gefühl, sie beschützen zu müssen. Denn die Reichen besaßen Eigenschaften, die er nie haben würde. Deshalb begann er als Leibwächter für einen Gangster zu arbeiten, der sich alles kaufen konnte – schöne Frauen und Villen, Anwälte und Politiker. Aber als Malko das erste Mal losgeschickt wurde, um mit jemandem »ein ernstes Wörtchen zu reden«, geriet er so in Rage, dass er den Kerl umbrachte. Das war ein Fehler gewesen, der sich allerdings in Form einer Beförderung bezahlt machte. Von da an war er offiziell Schuldeneintreiber.
Als der Gangster schließlich im Gefängnis landete, zog Malko nach Memphis weiter, und von dort nach Atlanta und schließlich nach Chicago. In der Zwischenzeit brachte er sich Manieren bei und wie man sich anzog und auch ein wenig Französisch – Spanisch und Russisch sprach er bereits. In Chicago, wo er sich selbstständig machte, fand er in der Unterwelt, wo Mundpropaganda die einzige Form der Werbung war, rasch seinen Platz. Und es wurden die erstaunlichsten Dinge über ihn erzählt. Er erledigte Aufträge in ganz Amerika und verdiente mehr Geld, als er sich damals in Jacksonville je hätte träumen lassen. Manchmal dachte er an seinen Großvater und was die Kredithaie mit ihm gemacht hatten. Der alte Mann tat ihm Leid, aber inzwischen verstand er, warum er hatte sterben müssen.
Als Malko bei Rot anhalten musste, sah er auf die digitale Karte. Dem Peugeot zu folgen war kinderleicht. Der Fahrer war allerdings eine andere Sache. Bisher war ihm der Mann jedes Mal, wenn er parkte, entwischt. Bis Malko ankam, war er bereits weg. Offensichtlich hatte er eine hervorragende Ausbildung genossen. Das hatte sich schon beim ersten Mal in Zürich gezeigt, als Malko ihn den ganzen Weg bis zum Lindenhof hinauf verfolgt hatte.
Malko musste unbedingt herausfinden, wer der Mann war. Vor dem Hotel Valhalla hatte er mit einer Digitalkamera ein Foto von ihm gemacht und es an mehrere private und staatliche Datenbanken gemailt, zu denen er dank seiner Tätigkeit uneingeschränkten Zugang hatte. Die Suche war allerdings ergebnislos verlaufen. Das Gleiche galt für die Fingerabdrücke, die er von der Tür des Peugeot genommen hatte. Auch eine Kopie des Mietvertrags für den Peugeot hatte er per E-Mail angefordert und erhalten, aber der Kunde hatte bar bezahlt, und der Führerschein erwies sich als gefälscht.
Normalerweise begrüßte Malko Herausforderungen. Nicht so an diesem Tag. Er wusste weder, um wen es sich bei dem Mann handelte, hinter dem er her war, noch, was er im Schild führte.
Jacqueline Pahnkes Laden war im Marais, einem beliebten Pariser Viertel, nicht weit vom noblen, baumbestandenen Place des Vosges, der von herrlichen Stadthäusern aus dem 17. Jahrhundert umgeben war. Die Abendluft war stickig und schwül. Als Simon an einem Friseursalon vorbeikam, kam einer der Friseure, mit einer traditionellen weißen Schürze bekleidet, mit einem Eimer Seifenlauge und einem Tuch nach draußen. Er nickte Simon zum Gruß zu und machte sich daran, die Glasscheibe der Eingangstür zu putzen und den Laden für den nächsten Morgen in Ordnung zu bringen.
Simon erwiderte den Gruß und begann schneller zu gehen, als er sich Jackies Laden näherte, der sich zwei Türen weiter befand. Durch die Glasscheibe konnte man in das beleuchtete Innere mit den üblichen Paraphernalien eines Fotostudios sehen – Kameras, Blitzgeräte, Stative. Als Simon die Tür des schmalen alten Ladens öffnete, meldete eine Glocke seine Ankunft.
Jackie kam nach vorn geeilt, als wäre er der wichtigste Kunde der Welt. Sie war Ende vierzig, strotzte vor Energie und hatte
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