Der Nautilus-Plan
Sarah und Asher zu befreien, und das auch noch mit der Begründung, dass ich nicht gegen meine hohen moralischen Ansprüche verstoßen will.« Sie sah Simon an. »Ich muss es tun, weil ich dazu in der Lage bin.«
»Bei Beatrice hast du gezögert. Du warst nicht sicher, ob du sie erschießen könntest, habe ich Recht?«
»Ja.«
Sein kantiges Gesicht war voller Mitgefühl. »Vergiss nicht, du bist nicht mehr allein.«
»Ich weiß.« Sie sah etwas in ihm, von dem ihr warm ums Herz wurde. Etwas, was sie lange nicht mehr erfahren hatte.
Seine Augen blitzten amüsiert – und vielleicht auch herausfordernd – auf. »Wir sind Partner. Kumpel. Wir gehen durch dick und dünn.«
»Klar, die Bobbsey Twins. Die zwei Musketiere. Die gesetzesfürchtige Version von Bonnie and Clyde.«
Sie wandten den Blick voneinander ab. Wenig später stiegen sie um und fuhren in Richtung Nordosten weiter. Liz konzentrierte sich auf den Verkehr, der inzwischen sehr dicht war. Ihre besondere Aufmerksamkeit galt den allgegenwärtigen Taxis. Waren sie entdeckt worden? Hatte sich ein Schatten an ihre Fersen geheftet? Ausgeschlossen, sagte sie sich. Trotzdem war sie auf der Hut.
Der Tod wurde mehr und mehr zu ihrem ständigen Begleiter. Wie schon tausende Male zuvor fragte sie sich wieder einmal, wie ihre Mutter, nachdem sie einmal getötet hatte, weiter hatte töten können. Doch sie kannte die Antwort; es lag einfach daran, dass es ihr nie Befriedigung verschafft hatte: Melanie hatte für ihr Land getötet, aus Vaterlandsliebe. Für eine Sache, die sie für wichtiger gehalten hatte als persönliche Überzeugungen und Zimperlichkeiten. Als Melanie schließlich klar wurde, dass der Carnivore sie jahrelang belogen hatte, dass sie nur selten für den englischen oder auch den amerikanischen Geheimdienst gearbeitet hatten, rührte sie nie mehr eine Waffe an.
Liz schüttelte einen Anflug von Schuldgefühlen ab. Sie tat jetzt, was ihre Mutter getan hatte – sie schlug einen Weg ein, der ihrer Meinung nach einem höheren Ziel diente, in diesem Fall der Rettung Sarahs und Ashers und der Beschaffung der Aufzeichnungen des Carnivore. Sie war wie ihre Mutter geworden. Vielleicht war sie auch schon die ganze Zeit so gewesen – was möglicherweise der Grund war, weshalb sie überhaupt in der Lage gewesen war, für die CIA zu arbeiten.
Sie musste aufhören, darüber nachzudenken. Während die Reifen des Busses unaufhörlich weitersummten, sah sie zu Simon hinüber. Sein Gesicht war hellwach, als er die Straße beobachtete. Ihr gefiel die Art, wie er dasaß, so locker und lässig, die breiten Schulter so unverkrampft, als wäre er vollkommen entspannt … bis man in seine Augen sah und die extreme Wachsamkeit in ihnen bemerkte.
»Noch einmal zurück zu Nautilus«, flüsterte sie. »Du wolltest mir erklären, was es damit auf sich hat. Doch dann hat uns der Parkwächter unterbrochen.«
Er blickte sich um und senkte die Stimme. »Du hast Recht. Das solltest du unbedingt wissen, vor allem jetzt. Stell dir eine lose Vereinigung von Wirtschaftsgrößen und Königen, Präsidenten und Generälen vor. Eine Art übergreifender Allianz zwischen Europa und Amerika, die über die offizielle Regierungsebene hinausgeht.«
»Über die offizielle Regierungsebene?«
»Ja, ganz richtig. Sämtliche Nautilus-Mitglieder haben einmal höchste Regierungsämter bekleidet – ein ehemaliger englischer Premierminister, ein ehemaliger deutscher Bundeskanzler, ein ehemaliger Nato-Generalsekretär und ein ehemaliger Vizepräsident der Europäischen Kommission. Die Teilnehmer an diesen Treffen bilden einen hochexklusiven und elitären Zirkel – Bankiers, Wirtschaftsgrößen, Präsidenten, Premierminister, Staatsmänner von Weltgeltung, Nato-Oberbefehlshaber.«
»Falls unser Erpresser Nautilus-Mitglied ist, können wir uns ja auf einiges gefasst machen.«
»Allerdings. Wir sollten am besten mit allem rechnen. Die Sicherheitsvorkehrungen sind bestimmt beachtlich, besser als die der meisten Dritte-Welt-Länder.«
Als der Bus an einer roten Ampel anhielt, fragte Liz ruhig: »Über wie viele Leute reden wir hier?«
»Es gibt ein festes Führungsgremium von etwa dreißig Personen – zur Hälfte Europäer, zur Hälfte Amerikaner – und neunzig geladene Gäste. Letztere variieren, je nachdem, wer gerade an der Macht ist und wer in den vorangegangenen zwölf Monaten was erreicht hat. In der Regel sind auch einige künftige politische Stars dabei. Sie werden so bald wie möglich
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