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Der Nautilus-Plan

Der Nautilus-Plan

Titel: Der Nautilus-Plan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gayle Lynds
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Herdentrieb«, fuhr Liz fort. »Die Macht der Masse. Aber es hängt auch damit zusammen, dass diese Leute das Gefühl haben, irgendetwas tun zu müssen. Fast so, wie wenn Geisteskranke mit dem Kopf gegen die Wand schlagen oder sich selbst beißen. Sie sehnen sich verzweifelt danach, etwas zu spüren, egal was. Das befreiende Gefühl, etwas zu empfinden. Natürlich sind Leute, die versuchen, Missstände abzuschaffen oder Verbesserungen durchzusetzen, rasch frustriert. Und möglicherweise bekommen sie sogar nie, was sie haben wollen – was sie vielleicht auch gar nicht sollten. Gefährlich wird es vor allem in Situationen wie dieser, wenn sie in solchen Massen und so geballt auftreten. Die Frustration, kein Gehör zu finden, nimmt beständig zu, die Atmosphäre heizt sich immer mehr auf, und dann passiert irgendetwas, und die Lage gerät plötzlich außer Kontrolle. Sie verschaffen zwar ihren Gefühlen Luft, aber sonst erreichen sie nichts von dem, was sie eigentlich wollen. Danach legt sich die ganze Aufregung erst mal wieder, bis sich alles wieder von neuem aufzuheizen beginnt.«
    »Ziemlich deprimierend.«
    Liz sah zu Simon hoch und rückte ihre Sonnenbrille zurecht. »Was hast du denn plötzlich? Du hast jemanden gesehen, den du kennst, stimmt’s?«
    »Vieras Bruder ist hier.« Er beschrieb ihr Johann und wandte sich dann ab. Wenn man jemanden zu lange ansah, war das wie eine Aufforderung an den Betreffenden, zurückzuschauen. Er konnte sich zwar nicht vorstellen, dass Johann ihn in seiner Verkleidung erkennen würde, aber er wollte kein Risiko eingehen.
    »Er macht einen extrem aufgebrachten Eindruck«, sagte Liz.
    »Viera hat sich selbst geopfert, und schon jetzt kräht kein Hahn mehr nach ihr. Vielleicht begreift er langsam, dass man am Leben bleiben muss, um etwas zu verändern.«
     
    Als Liz und Simon sich dem protzigen Eingangstor von Dreftbury näherten, kontrollierte ein Wachmann gerade das Gepäck im Kofferraum einer Limousine, während ein anderer, der am offenen Seitenfenster stand, die Pässe der Insassen mit der Gästeliste verglich. Ein Dobermann zerrte seinen Führer um den Wagen herum und schnüffelte an Reifen und Fahrgestell.
    Die Protestrufe und die Gesänge der Demonstranten auf der anderen Straßenseite wurden lauter und eindringlicher, und die Vorstöße gegen die Absperrungskette der Polizei wurden kühner und zahlreicher. Besorgt beobachtete Simon das wachsende Durcheinander. Wie um die angespannte Stimmung atmosphärisch widerzuspiegeln, türmten sich über den stinkend zum Himmel aufsteigenden Abgasen bedrohliche Gewitterwolken auf. Es konnte jeden Moment zu regnen beginnen. Unwillkürlich musste Simon an den Ausspruch denken: Entweder regnet es in Schottland, oder es hat gerade geregnet oder wird gleich regnen.
    »Da ist unser Mann.« Liz behielt ihren neutralen Gesichtsausdruck bei. »Hast du dir meine Handynummer gemerkt?«
    »Sicher. Du meine auch?«
    Sie nickte und dachte gleichzeitig bereits an ihre Glock, die in ihrer Umhängetasche ganz oben lag, damit sie schnell und mühelos an sie herankam. Simon trug seine Beretta in einem Holster unter seinem Jackett, die Uzi war noch in seiner Sporttasche. Mithilfe der Handys konnten sie sich jederzeit verständigen.
    Simon nickte. Wie erwartet, stand unmittelbar hinter dem Tor etwas abseits ein MI5-Mann, unauffällig, als solcher nur für diejenigen erkennbar, die die Zeichen zu deuten wussten – die lässige Haltung, mit der er am Pförtnerhäuschen lehnte, wo er fast nicht zu sehen war; der gelangweilte Gesichtsausdruck, während die Augen hinter der Sonnenbrille jedes Gesicht und jedes Fahrzeug musterten; der leicht schiefe Schnitt des Jacketts, um die Pistole unter seinem Arm zu verbergen; und – ganz besonders – seine isolierte Stellung. Die Wachmänner machten einen weiten Bogen um ihn. Das war ein Fehler. Der Agent hätte ihnen sagen müssen, dass sie sich ganz normal verhalten und mit ihm reden sollten, als wäre er einer von ihnen oder ein Zivilist.
    Lizs Muskeln spannten sich an, als sich ein korpulenter Wachmann, das Bull-Pup-Gewehr in der Armbeuge, umdrehte. Er hatte gerade eine der Limousinen durchgewunken, und als sie auf das Hotel zufuhr, tauschte Liz einen kurzen Blick mit Simon aus. Es konnte losgehen.
    Sie holten ihre Ausweise heraus.
    »Kann ich Ihnen helfen?« In der Stimme des Wachmanns schwang erschöpfte Höflichkeit mit; er hatte einen anstrengenden Arbeitstag hinter sich. Aber sein Blick war wachsam, als er

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