Der Nautilus-Plan
sobald er die Tür öffnete, stellte er fest, dass er sich nicht getäuscht hatte. Er durchsuchte die Schließfächer und fasste in alle Hosentaschen, bis er einen Autoschlüssel mit Fernbedienung fand.
Dann raffte er seine Kleider zusammen, klemmte sie sich unter den Arm und rannte zu dem Gang zurück, durch den er in das Château gekommen war. Schwer atmend spähte er nach draußen. Kein Wachmann in Sicht. Wenn er Glück hatte, war auch das ganze Wachpersonal ins Schloss gerannt. Die Ermordung des Barons war der Vorteil, den er benötigte.
Er strich seine Livree glatt und ging so, als habe er eine wichtige Besorgung zu erledigen, zu dem gekiesten Platz vor der Küche, wo die Angestellten ihre Autos abstellten. Das war seine Chance. Wahrscheinlich seine einzige. Als er nahe genug war, drückte er auf den geklauten elektronischen Autoschlüssel.
Die Lichter eines beigen Renault leuchteten kurz auf. Erleichtert sah sich Simon um. Dann lief er auf den Wagen zu, sprang hinein und ließ ihn an. Während er auf den Lieferanteneingang zufuhr, stimmte er sich innerlich bereits auf die Szene ein, die er gleich spielen müsste. Das war einer dieser Fälle, in denen er absolut überzeugend sein musste: Er war ein Diener, über den zwei Katastrophen gleichzeitig hereingebrochen waren. Während er sich konzentrierte, legte sich ein angespannter Ausdruck über seine Züge. Sein Kinn hob sich, die Augen wurden groß. Er öffnete seinen Kragen, kurbelte das Fenster nach unten und fuhr langsamer, als er das Tor erreichte.
Stirnrunzelnd kam der Wachmann aus dem Pförtnerhäuschen. »Was machen Sie denn da mit Monsieur Pietros Auto?«, fragte er auf Französisch.
Aufgelöst sah Simon durch das Seitenfenster zu ihm hoch und antwortete auf Französisch: »Etwas Furchtbares ist passiert. Einfach furchtbar. Jemand hat den Baron erschossen! Und jetzt steht meine Frau kurz vor der Entbindung. Was soll ich denn machen? Ich weiß überhaupt nicht mehr, wo mir der Kopf steht. Aber freundlicherweise hat mir Monsieur Pietro seinen Wagenschlüssel gegeben und gesagt: ›Fahren Sie.‹ Wussten Sie denn das mit dem Baron gar nicht?«
Das Gesicht des Mannes wurde aschfahl. »Merde alors, non!« Im Pförtnerhäuschen klingelte ein Telefon, und er sprang nach drinnen, um dranzugehen. »Tot? Er ist tot? Ermordet? Wirklich?« Er fasste sich bestürzt an die Mütze.
Simon lehnte sich aus dem Fenster des Renault, zeigte hektisch auf das Tor und drückte auf die Hupe. Der Wachmann hatte gerade die Bestätigung erhalten, dass Simons Geschichte zur Hälfte wahr war; mit ein bisschen Glück machte das den Teil, der eine Lüge war, ebenfalls glaubhaft.
Der Wachmann machte ein erstauntes Gesicht, als hätte er Simon ganz vergessen. Dann nickte er, drückte auf einen Knopf seines Pults und konzentrierte sich wieder auf das Telefongespräch.
Das große Tor ging reibungslos nach innen auf. Simon fuhr auf die Straße hinaus. Die örtlichen Gendarmen waren wahrscheinlich bereits unterwegs. Er musste einen möglichst großen Abstand zwischen sich und das Château bringen, bevor Monsieur Pietro – wer immer das war – sein Auto vermisste oder bevor der Wachmann am Tor genauer über den Fremden nachdachte, der kurz davorstand, Vater zu werden.
Trotzdem fuhr er nicht schneller als erlaubt. Unnötige Aufmerksamkeit auf sich zu lenken galt es jetzt mit allen Mitteln zu vermeiden. Aber nachdem das Schlimmste überstanden war, gestattete er sich endlich, darüber nachzudenken, wie nahe er davorgestanden hatte, den Verbrecher zu finden, der seinen Vater in den Tod getrieben hatte. Sein Brustkorb schnürte sich zusammen, und seine Hände krampften sich um das Lenkrad.
Bäume wischten verschwommen an den Seitenfenstern vorbei, und die Straße vor ihm lag da wie eine graue Schlange. Er hätte aus der Haut fahren können, aber stattdessen sagte er sich immer wieder, nachdem er es einmal geschafft hatte, diesem Verbrecher so nah zu kommen, würde es ihm auch ein zweites Mal gelingen.
Die Minuten vergingen, und er spürte, wie er sich allmählich beruhigte und wieder rationaler reagierte. Er hatte einiges herausgefunden. Noch konnte er zwar vieles davon nicht einordnen, aber er würde noch mehr herausbekommen, und irgendwann würde er das Rätsel lösen, wer der Killer war.
Er atmete tief durch. Lauschte dem Klopfen seines Herzens. Und befasste sich in Gedanken mit dem, was er als Nächstes tun musste – nämlich den Film möglichst schnell entwickeln und
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